Laktat, gefürchtet und negativ besetzt. Zu Unrecht?

10. April 2024

Von: Marc Streitenbürger, ASVZ-Trainingsleiter sowie Leiter Athletik Training bei Turicum Athletics; 
Koproduktion: Silvana Ulber, Leiterin Kommunikation ASVZ

Lange galt Laktat als Stoffwechselendprodukt und Auslöser von muskulärer Ermüdung, immer wieder wurde es verantwortlich gemacht für Muskelkater. Noch immer werden entsprechende Tests häufig eingesetzt in der Leistungsdiagnostik, doch haben die verbesserten Untersuchungsmethoden die Sichtweise auf Laktat in den letzten Jahren stark verändert. Darum wollen wir vertiefter auf diesen Bereich der Trainingslehre eingehen und möchten wissen: Was genau macht Laktat in unserem Körper und wofür ist es gut?

Als Grundlage für den nachfolgenden Text empfehlen wir, sich den Blog-Beitrag «HIIT-Training vs. Dauermethode: Welche Trainingsform bringt’s ?» zu Gemüte zu führen. Darin wurden die drei verschiedenen Energiebereitstellungsmechanismen beschrieben und aufgezeigt, wie diese zusammenarbeiten und inwiefern sie voneinander abhängig sind. Das Wissen darüber ist hilfreich, um die Funktion von Laktat in unserem Körper zu verstehen.

Was ist Laktat und wie entsteht es?
Laktat wird im anaeroben Stoffwechsel in der sogenannten Glykolyse aus Glukose (Traubenzucker) «hergestellt». Der anaerobe Stoffwechsel ist jener Stoffwechsel, der die Energie ohne Sauerstoffbeteiligung im Blut bereitstellt. Dabei bedeutet «ohne Sauerstoff» nicht, dass kein Sauerstoff vorhanden ist; sondern, dass die Energie schnell genug bereitgestellt werden muss. Der grosse Vorteil des anaeroben Stoffwechsels ist, dass die Energie viel schneller geliefert wird, als es der aerobe Stoffwechsel (mit Sauerstoffbeteiligung) kann. Diese Art der Energiebereitstellung kommt denn auch insbesondere Sporttreibenden zu Gute, die schnell über viel Energie verfügen müssen; beispielsweise beim Sprinten oder Heben von schweren Gewichten. In diesen Situationen geht es für sie «von 0 auf 100» und dementsprechend prompt benötigt ihr Körper die Energie. Der Nachteil: Der anaerobe Stoffwechsel ist viel schneller erschöpft als der aerobe Stoffwechsel, bei dem die Energie langsamer bereitgestellt wird.

Wie entsteht in diesem Mechanismus nun das Laktat? Bei der sogenannten Glykolyse gewinnt der Körper aus Glukose (Einfachzucker, Traubenzucker) schnell Energie und dabei entsteht je nach Umständen Laktat. Bei Sprints – und dies insbesondere bei langen Sprints – wird beispielsweise viel Laktat gebildet. Dies ist auch in genau solchen Situationen so wichtig. Denn ganz besonders für Sprinter:innen ist es absolut notwendig, möglichst viel Laktat zu bilden. Nur so kann die nötige Energie für die schnelle Bewegung bereitgestellt werden. Es ergibt sich damit eine hohe Korrelation zwischen der Fähigkeit Laktat zu bilden und schnell und lange zu sprinten.

Wie das Beispiel des Sprints veranschaulicht, verbleibt Laktat nicht als Endprodukt im Körper. Vielmehr wird es als Energieressource verwendet. So decken auch viele Gewebe und Organe, wie beispielsweise unser Herz, während der Belastung einen Grossteil des Energiebedarfs über Laktat.

Laktat und Ermüdung
Wir alle kennen es: Belastungen, welche in kurzer Zeit viel Energie benötigen und über einige Sekunden andauern, ziehen oftmals eine starke Ermüdung nach sich. Da bei solchen Belastungen auch hohe Laktatwerte erreicht werden, wurde lange Zeit angenommen, dass Laktat die Ursache der Ermüdung ist. Eine biochemische Erklärung, dass Laktat zur «Übersäuerung» und damit zur Ermüdung beiträgt, gibt es aber nicht. Im Gegenteil: Nielsen et al. (2001) konnten beobachten, dass Laktat unter «in Vivo»-Bedingungen sogar eher einen positiven Effekt auf die Muskelkontraktion hat. Laktat ist damit ein Beispiel dafür, dass aufgrund einer beobachtbaren Korrelation fälschlicherweise eine Kausalität postuliert wird.

Wichtiges Signalmolekül bei Trainingsanpassungen
Neben der Energiebereitstellung erfüllt Laktat viele weitere wichtige Funktionen in unserem Körper. So löst es zum Beispiel eine sogenannte Angiogenese (Neubildung von Blutgefässen aus bestehenden Gefässen) inklusive gesteigerte Kollagensynthese aus. Diese ist für die Neubildung von Gefässen und Strukturen notwendig, denn damit können die Gewebe besser durchblutet werden, was eine höhere Leistung ermöglicht. Auch die sogenannte Vaskulogenese (Gefässneubildung aus Stammzellen) wird durch Laktat stimuliert. Daneben agiert Laktat in vielen verschiedenen Geweben als Signalmolekül. Es ist an der Regulierung von vielen zellulären Prozessen beteiligt, welche auch für die Trainingsanpassungen verantwortlich sind. So führt Laktat während der Belastung zu einer Gefässerweiterung und regt eine verstärkte Atmung an (Hardason et al., 1998; Gargaglioni et al., 2003). Brooks (2002a) postulierte, dass Laktat als Signalmolekül im ganzen Körper fungiert und daher als Pseudo-Hormon bezeichnet werden kann. Trainings mit hoher Laktatausschüttung sind deshalb unbedingt anzustreben, wenn positive Trainingsanpassungen erzielt werden wollen.

Laktat mit grossem Einfluss auf Gehirnstoffwechsel und Funktion
Laktat scheint zudem ein wichtiges Substrat für den Stoffwechsel der Nervenzellen und plastischen Anpassungen des Nervensystems zu sein (Skriver et al., 2014). Suzuki et al., (2011) und Newman et al., (2011) konnten beobachten, dass Laktat eine wichtige Rolle bei der Funktion unseres Gedächtnisses spielt und eine Schlüsselrolle bei den vielfach nachgewiesenen positiven Effekten von intensiver Bewegung auf das Gedächtnis einnimmt. Auch bei neuroplastischen Anpassungen, also Prozessen wie dem Abspeichern von Erinnerungen, spielt Laktat eine wichtige Rolle (Yang et al., 2014). Das erhöhte Laktat, welche die Muskeln produzieren, können die Blut-Hirnschranke passieren und dort die positiven Effekte bewirken. Damit scheint es auch gute Effekte auf neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson (Monteiro-Junior et al., 2015) und auf Multiple Sklerose (Wens et al., 2017) zu haben.

Welches Training bewirkt eine erhöhte Laktatausschüttung?
Laktat wird vor allem bei intensiven, kurzen Belastungen, welche längere Pausen dazwischen benötigen, ausgeschüttet. Die Laktatausschüttung ist am Höchsten bei maximalen Belastungen über 15-30 Sekunden mit anschliessenden Pausen von 1-8 Minuten (wobei die Pausen auch noch länger sein können). Auch ein normales Intervalltraining kann bereits eine erhöhte Laktatausschüttung bewirken. Sind die Pausen jedoch zu kurz, dominiert der aerobe Stoffwechsel und es wird kein Laktat ausgeschüttet. Ebenfalls eine Laktatausschüttung auslösen kann Krafttraining. Dies insbesondere bei Übungen, bei denen viele grosse Muskeln gleichzeitig aktiv sind. Ein Langhanteltraining mit Kreuzheben oder Kniebeugen sind gute Möglichkeiten, um eine Laktatausschüttung zu generieren.

Ausdauertrainings mit tiefer Intensität werden vom aeroben Stoffwechsel dominiert und bewirken daher kaum eine nennenswerte Erhöhung der Laktatproduktion.

Trainingsempfehlungen für Laktatausschüttung im Krafttraining:

  • Nutze Übungen, bei denen grosse Muskeln beteiligt sind, beispielsweise Kniebeugen, Ausfallschritte oder Kreuzheben mit der Langhantel.
  • Trainiere mit etwas höheren Gewichten (mehr als 60% 1 RM) und bis zum Muskelversagen.
  • Mache eher kurze Pausen (1-2 min), bis du wieder die gleiche Übung (gleichen Muskeln) machst.

Trainingsempfehlungen für Laktatausschüttung bei anderen Aktivitäten:

  • Sprinte (bspw. auf dem Velo, Ergometer oder rennend) maximal schnell und für 10-30 Sekunden. Bergsprints eignen sich hierfür besonders gut.
  • Mache anschliessend eine Pause von 3-5 Minuten.
  • Sporttreibende, die sich nicht-maximale Sprints gewohnt ist, können diese auch sub-maximal durchführen (der Effekt ist dabei jedoch nicht ganz so gross). Dann kann auch die Pause etwas kürzer sein (ca. 1-2 min)

 

Take Home Messages

  • Laktat wird im anaeroben Stoffwechsel (ohne Sauerstoffbeteiligung) bei der sogenannten Glykolyse gebildet.
  • Es ist nicht für die Ermüdung und auch nicht für Muskelkater verantwortlich.
  • Es ist auch kein Stoffwechselendprodukt.
  • Laktat kann von vielen Geweben als Energieressource genutzt werden.
  • Es ist ein wichtiges Signalmolekül, welches Trainingsanpassungen ermöglicht.
  • Es spielt eine wichtige Rolle im Gehirnstoffwechsel und hat einen positiven Einfluss, zum Beispiel auf das Abspeichern von Erinnerungen.
  • Damit können Trainings mit hoher Laktatausschüttung nicht nur positiv auf die physische, sondern auch auf die kognitive Leistungsfähigkeit bzw. Gesundheit einwirken.

 

Literatur

  • Richardson, R. S., Noyszewski, E. A., Leigh, J. S., & Wagner, P. D. (1998). Lactate efflux from exercising human skeletal muscle: role of intracellular PO 2. Journal of applied physiology, 85(2), 627-634.
  • Yang, J., Ruchti, E., Petit, J. M., Jourdain, P., Grenningloh, G., Allaman, I., & Magistretti, P. J. (2014). Lactate promotes plasticity gene expression by potentiating NMDA signaling in neurons. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(33), 12228-12233.
  • Barnes, J. N. (2015). Exercise, cognitive function, and aging. Advances in physiology education, 39(2), 55-62.
  • Monteiro-Junior, R. S., Cevada, T., Oliveira, B. R., Lattari, E., Portugal, E. M., Carvalho, A., & Deslandes, A. C. (2015). We need to move more: Neurobiological hypotheses of physical exercise as a treatment for Parkinson’s disease. Medical hypotheses, 85(5), 537-541.
  • Wens, I., Dalgas, U., Vandenabeele, F., Verboven, K., Hansen, D., Deckx, N., ... & Eijnde, B. O. (2017). High intensity aerobic and resistance exercise can improve glucose tolerance in persons with multiple sclerosis: a randomized controlled trial. American journal of physical medicine & rehabilitation, 96(3), 161-166.
  • Skriver, K., Roig, M., Lundbye-Jensen, J., Pingel, J., Helge, J. W., Kiens, B., & Nielsen, J. B. (2014). Acute exercise improves motor memory: exploring potential biomarkers. Neurobiology of learning and memory, 116, 46-58.
  • Suzuki, A., Stern, S. A., Bozdagi, O., Huntley, G. W., Walker, R. H., Magistretti, P. J., & Alberini, C. M. (2011). Astrocyte-neuron lactate transport is required for long-term memory formation. Cell, 144(5), 810-823.
  • Newman, L. A., Korol, D. L., & Gold, P. E. (2011). Lactate produced by glycogenolysis in astrocytes regulates memory processing. PloS one, 6(12), e28427.
  • Steinman, M. Q., Gao, V., & Alberini, C. M. (2016). The role of lactate-mediated metabolic coupling between astrocytes and neurons in long-term memory formation. Frontiers in integrative neuroscience, 10, 10.
  • Robergs, R. A., Ghiasvand, F., & Parker, D. (2004). Biochemistry of exercise-induced metabolic acidosis. American Journal of Physiology-Regulatory, Integrative and Comparative Physiology.
  • Nielsen, O. B., de Paoli, F., & Overgaard, K. (2001). Protective effects of lactic acid on force production in rat skeletal muscle.
  • Brooks, G. A. (2002). Lactate shuttles in nature. Biochemical Society Transactions, 30(2), 258-264.
  • Hardarson, T., Skarphedinsson, J. O., & Sveinsson, T. (1998). Importance of the lactate anion in control of breathing. Journal of applied physiology, 84(2), 411-416.
  • Gargaglioni, L. H., Bicego, K. C., Steiner, A. A., & Branco, L. G. (2003). Lactate as a modulator of hypoxia-induced hyperventilation. Respiratory physiology & neurobiology, 138(1), 37-44.

 

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