Die 5 wichtigsten Punkte beim Ausführen einer Kniebeuge
Von: Marc Streitenbürger, ASVZ-Trainingsleiter sowie Leiter Athletik Training bei Turicum Athletics
In den vergangenen Wochen haben wir im ASVZ-Blog zwei Mythen zur Kniebeuge unter die Lupe genommen. Das Resümee daraus: Weder ist das aktive Verhindern des Knievorschubs über die Zehenspitze, noch das Abbrechen der Kniebeuge auf halbem Weg zu empfehlen. Vielmehr sind unsere Knie für den ganzen Bewegungsumfang «konzipiert» worden. Deshalb sollten Kniebeugen unbedingt als Freund und nicht fälschlicherweise als Feind unserer Knie betrachtet werden. Elementar für eine langfristige Gesundheit ist dabei aber eine saubere und korrekte Bewegungsausführung. Doch, worauf ist konkret zu achten? Welches sind die 5 wichtigsten Punkte?
Bevor wir darauf eingehen, machen wir zunächst einen Schritt zurück und schauen uns an, wie der Mensch Bewegungen grundsätzlich erlernt und optimiert. Mithilfe des Wissens aus der Motorik bzw. des motorischen Lernens können wir anschliessend Schlüsse daraus ziehen, mit welchen Bewegungshinweisen oder Orientierungspunkten eine Kniebeuge am besten und effektivsten gelernt werden kann. Was an dieser Stelle gesagt sein soll: auch wenn die folgende Herleitung etwas umfangreicher gestaltet ist, so ist die praktische Umsetzung daraus sehr simpel.
Implizites und explizites Lernen
Das Verständnis der Begriffe implizites und explizites Lernen sind beim motorischen Lernen zentral. Implizites Lernen beschreibt das mehr oder weniger unbewusste Lernen, während das explizite Lernen eine stärkere bewusste und auf den Körper bezogene Komponente über die zu lernenden Bewegungsmuster aufweist.
Lange Zeit galt der Fokus im Coaching von Trainierenden dem expliziten Bewegungslernen. Dabei besteht für jede Bewegung eine allgemein gültige «Musterlösung», welche im Zentrum steht und welche es zu erreichen gilt. Definierte Vorgaben zeigen auf, wie sich die einzelnen Körperteile zu bewegen haben. Daraus folgen Anweisungen wie «Der Fuss muss genau gerade nach vorne zeigen, während die Hüfte 20 Grad nach aussen rotiert und der Arm zusätzlich dazu mit einem Winkel von 30 Grad nach vorne schwingt» – um dies mit einem willkürlichen Beispiel zu beschreiben. Ziel dieser Herangehensweise ist es, der Musterlösung mithilfe möglichst vieler expliziter Bewegungshinweisen so nah wie möglich zu kommen. Alles, was von dieser Musterlösung abweicht, wird als fehlerhaft bewertet und im gleichen Stil korrigiert.
In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren konnte die Forschung aber aufzeigen, dass mit der anderen Herangehensweise – dem impliziten Lernen – in den meisten Fällen bessere Effekte hervorgerufen werden konnten. Ganz besonders ausgeprägt zeigte sich dies in Bezug auf die langfristigen Lernerfolge. Auch konnten Trainierende implizit erlernte Bewegungsmuster unter physischem und psychischem Stress besser abrufen (Maxwell et al., 2001; Liao & Masters, 2001; Wulf 2007b; Masters, 1992), als die explizit erlernten. Daneben haben viele Studien nachgewiesen, dass ständige explizite Anweisungen die Trainierenden während der Bewegungsausführung vom Feedback des Coaches abhängig machen und sie das gelernte Bewegungsmuster bei ausbleibendem Feedback sowie in einer Stresssituation schlechter abrufen können (Salmoni, 1984; Schmidt, 1991; Schmidt, Young, Swinnen, & Shapiro, 1989).
Obwohl viele weitere Beispiele und Forschungsergebnisse aufgezeigt werden könnten – und dies aus unterschiedlichsten Sportarten – hält sich die «traditionelle» Herangehensweise der expliziten Bewegungsanweisungen hartnäckig. Ein Grund dafür ist, dass viele Coaches zu ihren Anfangszeiten selber anhand dieser Art von Bewegungslernen trainiert wurden, sie nie hinterfragt haben und sie daher ebenfalls an ihren Trainierenden anwenden. Ein anderer ist die Erwartungshaltung der Sporttreibenden. In ihrem Streben nach der Musterlösung fordern sie oftmals vehement ganz genaue explizite Instruktionen ein und wollen stets darüber informiert sein, welche Punkte sie zur optimalen Bewegungsausführung von Übung xy beachten müssen. Es liesse sich nun aus den letzten Zeilen schliessen, dass explizite Anweisungen falsch sind und Coaches darauf verzichten sollen. Dem ist nicht so. Anleitung und Korrektur sind extrem wichtig und das Befolgen dieser umso mehr. Jedoch werden sie bei der impliziten Herangehensweise in geeigneter Dosis, mit Bedacht und differenziertem Fokus angebracht.
Effektorientiertes Bewegungslernen
Die Motorik dient immer einem Zweck. Deshalb ist unser Gehirn nie an der Bewegung selbst interessiert, sondern vielmehr am Effekt, den diese bewirkt. Wenn wir beispielsweise Durst haben, will unser Gehirn diesen mittels einer Bewegung löschen (Effekt). Deshalb generiert es ein Bewegungsprogramm, welches den Arm ein Glas Wasser greifen, dieses zum Mund führen und trinken lässt. Damit wird der Durst gelöscht. Solange der Effekt erreicht wird, ist die Bewegungsausführung für das Gehirn grundsätzlich zweitrangig. Dazu später mehr. Die Forschung konnte diesbezüglich nachweisen, dass Bewegungsanweisungen, welche den Fokus auf den Effekt und die Umwelt ziehen, den Anweisungen, welche den Fokus auf die Bewegungsausführung und den Körper selbst richten, überlegen sind (Lohse, Wulf ,& Lewthwaite, 2012; Marchant, 2011; Wulf, 2007a). Auf das Beispiel «Durst löschen» bezogen unterscheidet dies:
- «Greife das Wasserglas mit deiner Hand und führe es zum Mund, um daraus zu trinken und damit deinen Durst zu löschen» >> Implizites, effektorientiertes Lernen
- «Spanne deinen Rumpf an, beginne deinen Arm langsam zu heben und ihn gleichzeitig zu strecken. Öffne langsam deine Finger und die Daumen, sobald du in die Nähe des Glases kommst. Umschliesse das Glas dann mit deiner Hand und beginne dann, das Glas mit deinen Fingern zu umschliessen, um es zu greifen...» >> Explizites, nicht effektorientiertes und körperbezogenes Lernen
Auch wenn das implizite Lernen das unbewusste Lernen beschreibt, ist dies nicht gleichzusetzen mit «keine bewusste Aufmerksamkeit» bzw. «keinen bewussten Fokus» im Lernprozess zu benötigen. Vor allem beim Erlernen von Bewegungsmustern, aber auch beim Optimieren von bereits gelernten, erfordert der Lernprozess immer eine zielgerichtete bewusste Aufmerksamkeit. Die Differenz der beiden Herangehensweisen liegt im Umstand; beim implizierten Lernen im Fokus auf den Bewegungseffekt, beim expliziten Lernen im Fokus auf den Körper. An dieser Stelle wechseln wir vom Beispiel «Durst löschen» zur Kniebeuge: Sporttreibende fokussieren entweder darauf, wie sie ihre Knie strecken (explizit, auf Körper bezogen) oder darauf, wie sie den Boden von sich wegdrücken (implizit, auf Effekt bezogen). Anhand der impliziten Herangehensweise speichern wir unsere Bewegungsmuster anhand ihres Effekts ab, was einen automatisch effektiven und effizienten Ablauf erlaubt und die Nutzung der unbewussten, schnellen reflexiven Kontrollprozesse unterstützt (Wulf, 2007).
Der Körper entwickelt bei der impliziten Herangehensweise also unbewusst eine effektive und effiziente Bewegung, um ans Ziel (= zum Effekt) zu kommen. Macht er dabei immer alles richtig? Nein. Dort kommen die Coaches ins Spiel. Ihre Aufgabe ist es, Trainingsbedingungen zu schaffen, in denen Sporttreibende das Bewegungsmuster selber entdecken können. Dabei leiten und korrigieren sie die Trainierenden in ihren Bewegungsausführungen, anstatt dass sie diese als allgemeine Musterlösung vorgeben. Daher überrascht es an dieser Stelle wohl nicht, dass im Verlauf dieses Blog-Beitrags keine der versprochenen 5 wichtigsten Punkte der Kniebeuge aufgezeigt wurden und werden. Vielmehr ist es das Ziel, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie Bewegungsmuster ganz grundsätzlich erlernt werden und wie dies auf sehr viele Trainingsübungen übertragen werden kann.
Umsetzung im Fitness-Sport
Im Fitness-Sport wurde eine Kultur geschaffen, in welcher der Effekt einer Bewegung zunehmend an Bedeutung abnimmt. Bestimmt werden diese Trainings von repetitiven Belastungen, die strukturelle Auswirkungen auf unseren Körper haben. Der Effekt hingegen, den eine Bewegung in der Umwelt hat, ist meist irrelevant. Einer der Gründe, weshalb im Fitness-Sport immer noch extrem stark mit expliziten Anweisungen gearbeitet wird. Damit wird der Ansteuerungsprozess stark kognitiv gestaltet. Im Alltag denken wir aber über die wenigsten Bewegungsausführungen bewusst nach. Vielmehr wird der grosse Anteil unserer Bewegungen in unserem unbewussten Gehirn gesteuert. Dies trifft insbesondere auf unsere reflexive Stabilisierung zu. Auch, auf jene unserer Wirbelsäule.
Zurück zur Kniebeuge. «Spanne deinen Rumpf an» oder «spanne dein Gesäss an» und «spanne deine Oberschenkel an» sind in Fitnessklassen gängige Bewegungsvorgaben, die den Trainierenden ans Herz gelegt werden. Mit solch «traditionellen» expliziten Anweisungen wird jedoch ein höchst ineffizientes Bewegungsmuster kreiert. Denn eigentlich muss die Ansteuerung der Muskeln genau in dem Mass geschehen, wie das Bewegungsziel (= Effekt) erreicht werden kann. Nicht mehr und nicht weniger. Zu viel Rumpfaktivität oder zu hohe Aktivität der involvierten Muskeln, ist nämlich mindestens genau so schlecht, wie zu wenig. Es führt nicht nur zu einem extrem ineffizienten Bewegungsmuster, daneben erhöht es zusätzlich auch die Kompression zwischen den Bandscheiben und verunmöglicht die effiziente Kraftübertragung zwischen den Strukturen.
Implizites effektorientiertes Lernen als Grundlage des Lernerfolgs
Eine flüssige effiziente und effektive Bewegung braucht nur so viel Energie und so viel Muskelaktivierung, wie zur Ausführung notwendig ist. Indem wir Bewegungsmuster unter den richtigen Bedingungen ausführen, findet der Körper über eine geeignete reflexive unbewusste Ansteuerung eigenständig das richtige Mass und Timing von beispielsweise der Rumpfansteuerung. Eine zusätzliche willentliche Ansteuerung ist nicht von Nöten ist. Ganz besonders unser Rumpf wird über reflexive motorische Bahnen aus dem Hirnstamm angesteuert, welche nicht unter willentlicher Kontrolle stehen sollten.
Wie eingangs «versprochen», ist diese Herleitung ausführlich ausgefallen; das Fazit ist jedoch sehr simpel. Nicht ausführlich und an Musterlösungen orientierte Vorgaben führen zu langfristigem Erfolg – viel eher sogar zu unnötig falschen und ineffizienten Bewegungsmustern. Auf das Schaffen von optimalen Trainingsbedingungen, die Freude am Entdecken von Bewegungsmustern sowie selbstverständlich das fachkundige und implizit angebrachte Leiten und Korrigieren durch die Coaches kommt es an. Dabei ist das Vorzeigen einer Trainingsübung generell sinnvoll, denn das menschliche Bewegungslernen ist stark auf das visuelle System ausgerichtet. Siehe in Bezug auf die Kniebeugen daher das Video zu diesem Blog-Beitrag.
Take Home Message
- Der Fokus und die Bewegungshinweise zielen auf den Effekt der Bewegung ab, möglichst wenig auf körperbezogene Prozesse.
- Für menschliche Bewegungen gibt es keine allgemein gültige Musterlösung.
- Aufgabe der Coaches ist nicht die Vorgabe von starren Musterlösungen, sondern das Leiten und Korrigieren der Ausführungen der Trainierenden, die er/sie vor sich hat.
- Diese müssen stets den Voraussetzungen des Individuums sowie den Umweltbedingungen angepasst werden.
- Um ein Bewegungsziel (= Effekt) zu erreichen, soll nicht mehr Muskel- und Rumpfansteuerung «eingesetzt» werden, als notwendig.
- Das menschliche Bewegungslernen ist stark auf das visuelle System ausgerichtet. Das visuelle Vorzeigen/Ansehen einer Übung ist generell sinnvoll.
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Literatur zum Text
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