Phänomen Muskelkater - Teil 1
Hast du schon einmal im Leben an Muskelkater gelitten? Die allerwenigsten von uns können diese Frage wohl mit «Nein» beantworten. Grund genug, das Phänomen Muskelkater sowie die gängigsten Aussagen zu beleuchten, mit denen Marc Streitenbürger, Leiter Athletik-Training bei Turicum Athletics sowie ASVZ-Trainingsleiter, als Trainer konfrontiert wird. Im nachfolgenden ersten Teil der Auseinandersetzung nimmt er Stellung zu:
- Muskelkater ist etwas Gutes. Da weiss ich, dass ich etwas gemacht habe.
- Wenn ich den Muskelkater überstanden habe, bin ich danach fitter und stärker.
1. Muskelkater ist etwas Gutes. Da weiss ich, dass ich etwas gemacht habe.
Um diese Aussagen überprüfen und beurteilen zu können, müssen zunächst die physiologischen Grundlagen des Muskelkaters betrachtet werden. Was genau ist Muskelkater eigentlich? Was ist die physiologische Ursache für den typischen Muskelkater und dessen Schmerz? Vorweggenommen: auch die Wissenschaft hat noch keine ganz klare Antwort gefunden, da gewisse biochemische Prozesse, die dem Muskelkater zugrunde liegen, noch nicht komplett verstanden sind. Verschiedene Aspekte zum Muskelkater sind jedoch auch wissenschaftlich weitestgehend gut abgesichert.
Etwas, das sicher ist: Beim Muskelkater ist immer ein gewisser Grad an struktureller Beschädigung vorhanden. Man geht davon aus, dass die Beschädigung des Bindegewebes (dazu gehören auch Sehnen) eine ähnlich grosse Rolle bei der Entstehung von Muskelkater spielt, wie die Beschädigung des Muskelgewebes selbst. Gerade, weil Bindegewebsstrukturen sehr stark mit sensorischen Rezeptoren durchsetzt sind, kann angenommen werden, dass das Bindegewebe einen grossen Beitrag zur Schmerzempfindung bei Muskelkater leistet.
Meistens spüren Trainierende diesen Schmerz erst eine ganze Weile nach der Belastung. Weshalb tritt er nicht noch während der Belastung oder kurz danach ein? Der Grund ist, dass der Schmerz nicht direkt durch die Gewebsbeschädigung eintritt, sondern durch die anschliessenden Reparaturmechanismen ausgelöst wird. Die Entzündungsreaktion – meist fälschlicherweise als etwas Negatives dargestellt – stellt einen ganz wichtigen Teil der Reparatur des Gewebes dar und ist eine absolut essenzielle Phase im Heilungsprozess. Die Entzündung führt nämlich dazu, dass verstärkt weisse Blutkörperchen zum beschädigten Gewebe und zu den Bindegewebs- und Muskelzellen wandern. Dadurch werden eine höhere Durchblutung und ein Wassernachfluss ausgelöst, was zu einer Muskelschwellung führt. Es wird Druck auf die sensiblen Nervenenden ausgeübt, was wiederum das Schmerzempfinden auslöst. Es sind also nicht die kaputten Strukturen für die Schmerzen verantwortlich, sondern die dadurch ausgelöste Entzündung, die dazu führt, dass die sensiblen Nervenenden mechanischem Druck ausgesetzt werden. Eine Theorie, die mittlerweile auch in der Wissenschaft relativ stark anerkannt ist.
Welche Faktoren begünstigen das Auftreten des Muskelkaters? Muskelkater wird vor allem durch wiederholte exzentrische Belastungen ausgelöst. Exzentrische Muskelarbeitsweise bedeutet die Arbeit des Muskels während der Abwärts- bzw. Abbremsbewegung. Zur Veranschaulichung: Wenn man sich auf einen Stuhl setzt, arbeitet der Muskel exzentrisch; wenn man danach wieder aufsteht, konzentrisch. Der Unterschied zwischen der exzentrischen und der konzentrischen Muskelarbeitsweise ist, dass bei exzentrischen Kontraktionen (Kraftentwicklung bei gleichzeitiger Verlängerung des Muskels) bei vergleichbarer Kraftentwicklung weniger motorische Einheiten rekrutiert werden, als bei konzentrischen Kontraktionen (Kraftentwicklung bei gleichzeitiger Verkürzung des Muskels). Dabei wird der mechanische Stress auf weniger Muskel- und Bindegewebsmasse verteilt. Folglich werden die beanspruchten Strukturen stärker belastet. Weiter lässt sich dazu sagen: Je ungewohnter die Bewegung, je höher die Geschwindigkeit der Ausführung, je höher die Wiederholungszahl bzw. Spannungsdauer einer Trainingsübung sowie je länger der beanspruchte Muskel (länger im Sinn von Entfernung von Ursprung und Ansatz des Muskels), desto wahrscheinlicher wird ein Muskelkater. Der mechanische Stress auf dem Gewebe nimmt mit jedem dieser Umstände zu, wodurch es zu Gewebsbeschädigung und zum oben aufgezeigten Verlauf kommt.
2. Wenn ich den Muskelkater überstanden habe, bin ich danach fitter und stärker.
Des Öfteren werde ich mit der Theorie konfrontiert, dass der Muskel nach einem Muskelkater dicker zusammenwachse, weswegen er gut sei für das Muskelwachstum. Dem muss ich widersprechen. Die Gewebsbeschädigungen, die vor dem Muskelkater entstehen, sind keineswegs vorteilhaft für die Leistungsfähigkeit und sie sind auch nicht begünstigend für Hypertrophie (Muskelquerschnittszunahme). Es handelt sich bei Muskelkater nämlich um eine effektive Sportverletzung, eine Vorstufe der Muskelzerrung. Muskelkater ist daher auf keinen Fall anzustreben. Mal abgesehen davon, dass er auch im Alltag unangenehm ist, wird die Leistung in jedem Fall negativ beeinflusst, denn es kann in den nachfolgenden Tagen nicht trainiert werden.
Den ein oder anderen Muskelkater zu haben, ist sicher kein Weltuntergang. Er sollte aber, wenn immer möglich, vermieden und natürlich schon gar nicht angestrebt werden.
Teil 2 zum Phänomen Muskelkater widmet sich den Auffassungen "Nur Untrainierte bekommen Muskelkater." sowie "Man sollte nach dem Training dehnen, damit der Muskelkater danach weniger stark ausgeprägt ist."
Marc Streitenbürger, Leiter Athletik Training bei Turicum Athletics sowie ASVZ-Trainingsleitender Funktionelles Outdoor Training
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