Metabolische Gesundheit Teil II

22. April 2024

Über die Rolle von Insulinresistenz und Diabetes Typ 2 bei der metabolischen Gesundheit 

Von: Marc Streitenbürger, ASVZ-Trainingsleiter sowie Leiter Athletik und Personal Training bei Functional Athletics und Turicum Athletics

 

In Teil I der Blog-Serie zu metabolischer Gesundheit wurde die Rolle von Herz-Kreislauf-, neurodegenerativen sowie Krebs-Erkrankungen und ihre Verbindung mit dem metabolischen Syndrom behandelt. Grundlegendes Resümee der Auseinandersetzung: Das metabolische Syndrom begünstigt verschiedene Krankheiten teilweise sehr stark; wir haben jedoch einen grossen Einfluss darauf, dem entgegenzuwirken. In Teil II werden die Hintergründe des metabolischen Syndroms noch genauer betrachtet und dabei insbesondere die Insulinresistenz und Diabetes Typ 2 behandelt.

Take-Home-Messages (Teil II): 

  • Insulinresistenz ist ein Marker schlechter metabolischer Gesundheit und führt in den meisten Fällen zu Diabetes Typ 2. Jedem Diabetes Typ 2 liegt eine Insulinresistenz zu Grunde.
  • Der rechtzeitige Befund von Insulinresistenz kann das Auftreten von Diabetes Typ 2 durch physisches Training verhindern.
  • Kraft- und Ausdauertraining führen zu einer verbesserten Insulinsensitivität und sind somit die besten Mittel gegen Diabetes. Während der Muskelarbeit können Muskelzellen den Zucker im Blut ohne Insulin aufnehmen. 

     

Metabolisches Syndrom und Diabetes Typ 2: Warum das Insulin und nicht der Blutzucker das Hauptproblem darstellt
Diabetes Typ 2, oft auch als Zuckerkrankheit bezeichnet, hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und ist ein Indikator für eine schlechte metabolische Gesundheit. Lange Zeit wurde der Wert des Nüchternblutzuckers (Glukose-Konzentration im Blut) mit über 7 mmol/l (6.1-6.9 mmol/l: Prä-Diabetes) oder der Blutzucker zwei Stunden nach einer Mahlzeit mit über 11.1 mmol/l zur Beurteilung herangezogen. Neuerdings wird vermehrt der Langzeitblutzucker (HbA1c) verwendet. Wenn dieser über 6.5 % liegt, wird von einem Diabetes Typ 2 gesprochen (5.7-6.4 %: Prä-Diabetes). 

 Dabei ist den meisten Menschen nicht bewusst, dass der erhöhte Blutzucker - durch welchen die Krankheit diagnostiziert wird - nicht das eigentliche Problem bzw. die Ursache von Diabetes Typ 2 darstellt. Vielmehr ist es die Insulinresistenz, die jedem Diabetes Typ 2 zu Grunde liegt.

Was ist Insulinresistenz?
Unter Ruhebedingungen sind unsere Zellen und dabei insbesondere die Muskelzellen, auf Insulin angewiesen. Insulin öffnet der Glukose die Tür zur bzw. in die Zellen. Dort kann Glukose als Glykogen abgespeichert oder zur Energiegewinnung oxidiert werden. Dabei bindet Insulin einen Rezeptor auf der Oberfläche der Zelle. Liegt eine Insulinresistenz vor, dann reagiert die Zelle viel schwächer oder gar nicht mehr auf gebundenes Insulin und die Glukose kann nicht aus dem Blut in die Zelle wandern. Dabei ist die Insulinresistenz ein Kontinuum: Je schwächer die Zellen auf das Insulin reagieren, desto grösser ist die Insulinresistenz. 

Entwickeln wir eine Insulinresistenz, reagiert der Körper zunächst mit einer gesteigerten Insulinausschüttung. Ist sehr viel Insulin vorhanden, dann kann der Körper den Blutzucker weiterhin in einem gesunden Rahmen halten, wobei er aber schon deutlich mehr Insulin verwertet, als eigentlich benötigt. Mit steigender Insulinresistenz stösst die Bauchspeicheldrüse immer mehr Insulin aus – dies,  um die Insulinresistenz zu kompensieren. Dieser Vorgang führt zu einer sogenannten Hyperinsulinämie (erhöhte Insulinkonzentration im Blut) und diese hat negative gesundheitliche Konsequenzen, wie beispielsweise die in Teil I erwähnten Herz-Kreislauf-, neurodegenerativen sowie Krebs-Erkrankungen.  

Wie wird eine Insulinresistenz diagnostiziert?
Eine Insulinresistenz kann am einfachsten mit einem sogenannten OGTT (Oral Glucose Tolerance Test) entdeckt werden. Dabei konsumiert eine Person nüchtern eine reine Glukoselösung. Anschliessend werden alle 30 Minuten bis zwei Stunden die Insulin- und die Glukosekonzentration gemessen. Dies erlaubt festzustellen, wie viel Insulin der Körper benötigt, um den Blutzucker zu senken. Eine übermässige Insulinausschüttung deutet auf eine Insulinresistenz hin. Erschwerend für die Diagnose ist, dass der Blutzucker trotz Insulinresistenz punktuell auch normal sein kann. Einmalige Messungen des Blutzuckers – wie sie immer noch oft geschehen – können daher fälschlicherweise zum Schluss führen, dass alles in Ordnung ist.

Bei einer länger andauernden Insulinresistenz reicht auch die kompensierende Insulinausschüttung nicht mehr aus, um den Blutzucker genug stark zu senken. Dann bleibt dieser erhöht oder beginnt sogar zu steigen. Ein erhöhter Blutzucker führt dazu, dass die Glukosemoleküle sich an andere Moleküle wie Proteine heften und so ihre Funktion beeinträchtigen. Dies kann aber auch erst Jahre nach einer beginnenden Insulinresistenz der Fall sein. 

Ein erhöhter Insulinspiegel und auch ein erhöhter Blutzucker haben also verschiedenste negative gesundheitliche Effekte. Wenn zusätzlich zum Blutzucker auch das Insulinkonzentration als Indikator für eine Diagnose von Diabetes Typ 2 verwendet würde, dann könnte bereits lange bevor es zu Diabetes kommt, interveniert werden. Die positive Nachricht ist, dass die Insulinresistenz und im Anschluss auch Diabetes Typ 2 umkehrbar sind. Verlust von viszeralem Fett zusammen mit physischem Training, insbesondere Kraft- und Ausdauertraining, sind dabei die effektivsten Mittel. 

Insulinresistenz, Diabetes und Sport
Wie aber kann Sport die Insulinresistenz und Diabetes rückgängig machen? Zellen benötigen für die Aufnahme von Glukose in der Regel Insulin. Es gibt dabei eine Ausnahme: Muskelzellen können Glukose auch ohne Insulin aufnehmen, und zwar wenn sie kontrahieren. Wenn eine Muskelzelle aktiv arbeitet bzw. kontrahiert, wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, welcher der Zelle die Aufnahme von Glukose ohne Insulin ermöglicht. Der Körper muss dann kein Insulin produzieren. Daher profitieren auch Personen mit Diabetes Typ 1 (produzieren kein Insulin) sehr stark von Sport.  

Zusätzlich zu diesem Mechanismus wird nach einem körperlichen Training bzw. nach vielen Trainings die Insulinsensitivität (das Gegenteil von Insulinresistenz) nachweislich erhöht. Eine Meta-Analyse von Rebello et al. (2023) konnte belegen, dass vier Wochen physisches Training die von Insulin stimulierte Glukose-Aufnahme aus dem Blut um 50 % steigern konnte. Die Insulinsensitivität kann durch regelmässigen Sport also deutlich gesteigert werden und somit die Insulinresistenz und die daraus folgende Diabetes Typ 2-Erkrankung umkehren. Kraft- und Ausdauertraining können folglich in doppelter Hinsicht die Insulinresistenz positiv beeinflussen und Diabetes Typ 2 verhindern oder gar umkehren. 

Wenn Diabetes diagnostiziert wird, müssen die Massnahmen mit einem Arzt besprochen werden. In individuellen Fällen sind auch zusätzliche pharmakologische Interventionen oder andere Lebensstiländerungen sinnvoll bis notwendig. 

Insulinresistenz und Krebs
Im ersten Teil der Blog-Serie wurde erwähnt, dass auch Krebs-Erkrankungen durch das metabolische Syndrom begünstigt werden. Welche Mechanismen das genau sind, ist noch nicht vollständig erforscht.  Es gibt zwar mittlerweile viele Daten, welche eine klare Beziehung zwischen Insulinresistenz, Diabetes Typ 2 und Krebs nachweisen konnten (Chiefari et al., 2021), die genauen Mechanismen sind jedoch noch nicht vollends entschlüsselt.

Wie im oberen Textteil aufgezeigt, ist Insulin nicht nur für die Senkung des Blutzuckers zuständig. Insulin ist ein anaboles Hormon, welche alle Zellen im Körper zum Wachsen bzw. Speichern von Energie anregt. Daher ist die Senkung des Blutzuckers (in dem es die Glukose in die Zellen treibt) nur ein Effekt von vielen. Auch auf alle anderen Zellen übt Insulin diesen Effekt aus. So besteht die Hypothese, dass ein konstant hoher Insulinspiegel auch Krebszellen verstärkt zum Wachsen antreibt. Hier ist sind die Mechanismen aber noch nicht genau geklärt. Aktive Bewegung kann die Insulinresistenz jedoch positiv beeinflussen und somit der Entwicklung von Krebs entgegenwirken. 

 

Merke!

Die Inhalte dieser Blog-Reihe sollen als Informationsquelle dienen, und nicht als medizinische Ratgeber missverstanden werden. Das Ziel ist aufzuzeigen, wie stark wir unsere Gesundheit selbst in der Hand haben. Die Blog-Beiträge ersetzen die individuelle Beratung durch eine Fachperson nicht. 

 

Literatur

  • Metter, E. J., Conwit, R., Tobin, J., & Fozard, J. L. (1997). Age-associated loss of power and strength in the upper extremities in women and men. The Journals of Gerontology Series A: Biological Sciences and Medical Sciences52(5), B267-B276.
  • Li, R., Xia, J., Zhang, X. I., Gathirua-Mwangi, W. G., Guo, J., Li, Y., ... & Song, Y. (2018). Associations of muscle mass and strength with all-cause mortality among US older adults. Medicine and science in sports and exercise50(3), 458.
  • Zhang, X., Wang, C., Dou, Q., Zhang, W., Yang, Y., & Xie, X. (2018). Sarcopenia as a predictor of all-cause mortality among older nursing home residents: a systematic review and meta-analysis. BMJ open8(11).
  • Rebello, C. J., Zhang, D., Kirwan, J. P., Lowe, A. C., Emerson, C. J., Kracht, C. L., ... & Brown, J. C. (2023). Effect of exercise training on insulin-stimulated glucose disposal: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. International Journal of Obesity47(5), 348-357.
  • Chiefari, E., Mirabelli, M., La Vignera, S., Tanyolaç, S., Foti, D. P., Aversa, A., & Brunetti, A. (2021). Insulin resistance and cancer: In search for a causal link. International journal of molecular sciences22(20), 11137.
  • Cornelissen, V. A., & Smart, N. A. (2013). Exercise training for blood pressure: a systematic review and meta‐analysis. Journal of the American heart association2(1), e004473.
  • Mandsager, K., Harb, S., Cremer, P., Phelan, D., Nissen, S. E., & Jaber, W. (2018). Association of cardiorespiratory fitness with long-term mortality among adults undergoing exercise treadmill testing. JAMA network open1(6), e183605-e183605.