Krafttraining – nicht zu früh und jetzt bringt’s auch nichts mehr?
Von: Marc Streitenbürger, Sportwissenschaftler und Inhaber von Functional Athletics | Ko-Produktion: Silvana Ulber, Leitung Kommunikation
Als Fortsetzung der Blog-Reihe über die metabolische Gesundheit vertiefen wir die einzelnen Aspekte in einer weiteren Reihe. Dabei beleuchten wir die Aspekte aus weiteren Perspektiven und zeigen Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf. Warum wir dies (nochmals) tun? Weil wir überzeugt sind: Gesundheit ist das höchste Gut und jede Auseinandersetzung mit ihr ist wertvoll. Die Blog-Reihe besteht aus Auseinandersetzungen mit:
- Insulinresistenz und Diabetes Typ 2
- Übergewicht und Körperfett
- Kraft- und Muskeltraining
- Ausdauerleistungsfähigkeit
- Messung und praktische Ableitungen
Folgende Take-Home-Messages lassen sich aus dem Beitrag zum Aspekt «Kraft und Muskeltraining» ziehen:
- Sowohl für Kinder als auch für Erwachsene jeden Alters ist Krafttraining gesund und einer der sichersten Formen von hoch intensiver physischer Belastung.
- Das Krafttraining vor der Pubertät hat positive Effekte auf das Wachstum und die Verletzungsprävention.
- Auch Personen über 75 Jahren können ihre Kraft und auch Muskelmasse nachweislich erhöhen.
- Krafttraining im Alter senkt das Sturzrisiko.
- Regelmässiges Krafttraining ermöglicht einen Puffer für inaktive Phasen aufgrund Krankheit, Unfall.
- Zur Rückgewinnung der alten Kraftfähigkeiten nach inaktiven Phasen ist zielgerichtetes Krafttraining wichtig.
- Dabei liegt der Schlüssel für den Erfolg in der Regelmässigkeit.
- Es sollte stets in die Nähe der Muskelermüdung trainiert werden.
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Wenn der Volksmund spricht
Dem Krafttraining haften im Volksmund noch einige Mythen an. Einige davon betreffend das optimale Alter von Krafttrainierenden; so soll es für Kinder und ältere Personen nicht gut oder sogar gefährlich sein. Die Studienlage deutet jedoch genau auf das Gegenteil hin. Für ein leistungsfähiges, gesundes und langes Leben ist Krafttraining in jedem Alter vorteilhaft – auch bei Kindern und Personen im hohen Alter. Vorausgesetzt ist selbstverständlich, dass es in einer sinnvollen und auf das Individuum angepassten Art und Weise ausgeführt wird, weshalb beispielsweise eine enge Betreuung durch eine Fachperson sehr empfehlenswert ist. Zu Beginn dieses Beitrags einige Fakten zur Muskelmasse:
- Die höchste Muskelmasse wird in der Regel in 20ern und 30ern erreicht.
- Der durchschnittliche Verlust an Muskelmasse beträgt ca. 8% pro Jahrzehnt.
- Dieser Verlust erhöht sich nach dem 70. Lebensjahr auf ca. 15%.
- Die meisten Personen zwischen 70-80 Jahren besitzen nur noch 60-80% der Muskelmasse, die sie mit 30 Jahren besassen.
Mythen zu Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen
Die nachfolgenden Ausführungen zeigen auf: Krafttraining ist für Kinder genauso vorteilhaft wie für Erwachsene. Es ist gesund und einer der sichersten Formen von hoch intensiver physischer Belastung. Aber schauen wir uns die gängigen Mythen etwas genauer an:
- «Kinder sind noch nicht in der Lage Kraft- oder Muskeln zuzulegen» – das ist falsch. Sanchez et al. (2023) konnten in ihrer Studie mit Kindern beobachten, dass 100 % ihre Kraft steigern konnten. Krafttraining erhöht die fettfreie Körpermasse signifikant, unabhängig vom Geschlecht und dem Fitness-Stand.
- «Krafttraining hat einen schlechten Einfluss auf das Wachstum» – auch das ist falsch. Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz für einen negativen Einfluss von Krafttraining auf das Wachstum von Kindern. Vielmehr ist die Wirkung gegenteilig: Die mechanische Belastung des Krafttrainings hat einen positiven Effekt auf das Körper- und Knochenwachstum. Die Knochendichte beispielsweise baut sich hauptsächlich innerhalb des 8. bis 20. Lebensjahr auf. Krafttraining hat hier einen enormen Einfluss, denn es kann dazu führen, dass eine Knochendichte aufgebaut werden kann, von der man sein ganzes Leben profitieren kann.
- «Krafttraining bei Kindern führt häufig zu Verletzungen» – wieder falsch. Krafttraining hat eine deutliche tiefere Verletzungsrate als die meisten Sportarten; zudem führt Krafttraining dazu, dass die Verletzungsrate bei anderen Sportarten um 50 % reduziert werden kann. Damit führt es zu höherer Leistungsfähigkeit und reduzierter Verletzungswahrscheinlichkeit.
Mythen zu Krafttraining im Alter
Regelmässiges Krafttraining ist wichtig, um einen Puffer für inaktive Phasen beispielsweise aufgrund von Krankheit oder Unfall zu haben sowie um im Falle solcher Phasen wieder das Niveau von davor zu erreichen. Aber schauen wir uns auch hier die gängigen Mythen etwas genauer an:
- «Krafttraining im Alter bringt nichts mehr» – das ist falsch. Unzählige Meta-Analysen kommen immer wieder zum selben Ergebnis: Krafttraining führt auch mit über 75 Jahren noch zu mehr Muskelmasse und Kraft (Grgic et al. 2020). Vielmehr ist betreutes Krafttraining eine effektive Strategie, um die Gebrechlichkeit im Alter zu verbessern. In ihrem systematischen Review kamen Lopez et al., (2018) zum Schluss, dass 1-6 Einheiten pro Woche bei 1-3 Sätzen mit 6-15 Wiederholungen sowie einer Intensität von 30-70 % 1 RM zu einer signifikanten Erhöhung der Muskelkraft, Muskelleistung und zum besseren Abschneiden in funktionellen Tests führt.
- «Krafttraining im Alter ist gefährlich» – auch das ist falsch. Wenn gut betreut, ist Krafttraining auch im hohen Alter eine sehr sichere Trainingsart. Zudem kann die Sturzgefahr nachweislich reduziert werden.
Entgegen der Meinung, dass die Kraftfähigkeiten und die Muskelmasse mit dem Alter stetig linear leicht abnehmen, bewirken die (unfreiwilligen) inaktiven Phasen aufgrund Krankheit oder Unfall stufenweise den grössten Abbau. Je älter eine Person ist, desto schneller und gravierender ist die Abnahme der Muskelmasse und der Kraft aufgrund der Immobilität. Während jüngere Personen die verlorene Kraft mittels Alltagsbewegungen relativ schnell wieder zurückgewinnen, so benötigen ältere Personen ein zielgerichtetes Krafttraining, damit kein bleibender Kraftverlust bestehen bleibt. Das kann zu einem Teufelskreis an Inaktivität und Kraftverlust führen – die Konsequenzen sind drastisch. Eine ältere Person, die regelmässig Krafttraining betreibt, besitzt einen viel höheren Puffer für diesen Strudel an negativen Auswirkungen.
Die Kraftfähigkeit ist aufgrund eines weiteren Aspekts sehr wertvoll. Sie ermöglicht älteren Menschen einen eigenständigen Alltag sowie die Teilnahme am sozialen Leben und an allem, was ihnen Freude bereitet. Daneben beeinflusst Krafttraining die kognitiven Fertigkeiten positiv und reduziert die Wahrscheinlichkeit an einer neurodegenerativen Erkrankung zu erkranken (Esteban-Cornejo et al., 2022).
Welches Krafttraining das Richtige ist
Grundsätzlich eignet sich das Krafttraining mit freien Gewichten etwas besser als Maschinen. Der Übertrag auf den Alltag ist aufgrund der zusätzlichen Förderung der koordinativen Aspekte mit dieser Art von Training etwas mehr gegeben. Dieses Training bedingt aber Erfahrung oder eine enge Begleitung durch eine Fachperson. Deshalb sollte zunächst keine Zeit ins Nachdenken über das perfekte Krafttraining eingesetzt werden – ob Maschine oder freie Gewichte – beides erhöht die Kraftfähigkeit und die Hauptsache ist: Die Muskeln werden regelmässig mechanisch belastet. Und diese Ausgangslage ist bei etwas, das man gerne bzw. lieber macht, eher gegeben.
Während dieser regelmässigen Belastungen ist es wertvoll, sich bis in Ermüdungsbereich zu treiben. Denn nur dann werden die Muskeln effektiv stimuliert und eine Anpassung erzielt. Dabei muss es nicht immer das Limit, also die vollständige Muskelermüdung sein - doch sollte man sich für einen Fortschritt in der Nähe davon bewegen.
Literatur
- Sánchez Pastor, A., García-Sánchez, C., Marquina Nieto, M., & de la Rubia, A. (2023). Influence of strength training variables on neuromuscular and morphological adaptations in prepubertal children: a systematic review. International Journal of Environmental Research and Public Health, 20(6), 4833.
- Grgic, J., Garofolini, A., Orazem, J., Sabol, F., Schoenfeld, B. J., & Pedisic, Z. (2020). Effects of resistance training on muscle size and strength in very elderly adults: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Sports Medicine, 50(11), 1983-1999.
- Lopez, P., Pinto, R. S., Radaelli, R., Rech, A., Grazioli, R., Izquierdo, M., & Cadore, E. L. (2018). Benefits of resistance training in physically frail elderly: a systematic review. Aging clinical and experimental research, 30, 889-899.
- Esteban‐Cornejo, I., Ho, F. K., Petermann‐Rocha, F., Lyall, D. M., Martinez‐Gomez, D., Cabanas‐Sánchez, V., ... & Celis‐Morales, C. (2022). Handgrip strength and all‐cause dementia incidence and mortality: findings from the UK Biobank prospective cohort study. Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle, 13(3), 1514-1525.