Übergewicht und Körperfett – per se ein Zeichen für schlechte Gesundheit?

28. Oktober 2024

Von: Marc Streitenbürger, ASVZ-Trainingsleiter sowie Leiter Athletik und Personal Training bei Functional Athletics | Ko-Produktion: Silvana Ulber, Leitung Kommunikation

Als Fortsetzung der Blog-Reihe über die metabolische Gesundheit vertiefen wir die einzelnen Aspekte in einer weiteren Reihe. Dabei beleuchten wir die Aspekte aus weiteren Perspektiven und zeigen Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf. Warum wir dies (nochmals) tun? Weil wir überzeugt sind: Gesundheit ist das höchste Gut und jede Auseinandersetzung mit ihr ist wertvoll. Die Blog-Reihe besteht aus Auseinandersetzungen mit:

  1. Insulinresistenz und Diabetes Typ 2
  2. Übergewicht und Körperfett
  3. Kraft- und Muskeltraining
  4. Ausdauerleistungsfähigkeit
  5. Messung und praktische Ableitungen 

Take-Home-Messages
Folgende Take-Home-Messages lassen sich aus dem Beitrag zum Aspekt «Übergewicht und Körperfett» ziehen:

  • Fett kann unter der Haut (subkutan) oder in und zwischen den Organen (viszeral) abgespeichert werden.
  • Das subkutane Fett ist neutral bis eher positiv, während das viszerale Fett ausschliesslich negative Effekte auf die Gesundheit hat.
  • Eine übergewichtige aktive Person ist in der Regel gesünder als eine schlanke inaktive Person.
  • Physisches Training ist das wirkungsvollste Mittel zur Verringerung der viszeralen Fettmasse.
  • Je mehr der Stoffwechsel aufgrund physischen Trainings im «Fluss» ist, desto weniger hat die Fettmasse einen negativen Effekt auf die Gesundheit.
  • Eine Kombination von Kraft- und Ausdauertraining kann das viszerale Fett auch ohne eine negative Energiebilanz abbauen. Eine negative Energiebilanz erhöht den Abbau von viszeralem Fett jedoch zusätzlich.

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Von falschen Pauschalitäten
Spricht der Volksmund über Körpergewicht, so sind (falsche) Pauschalitäten an der Tagesordnung: Übergewicht wird mit schlechter Gesundheit gleichgesetzt, schlanke Personen hingegen per se als gesund taxiert. Diese pauschalen Sichtweisen widersprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen: So erfüllen nur 62 % der übergewichtigen Personen in den USA die Kriterien des metabolischen Syndroms; gleichzeitig leiden jedoch 22 % der Normalgewichtigen am metabolischen Syndrom (National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases (2021)). Wie sich das erklären lässt?

Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine differenzierte Betrachtung. Unser Körper kann Fett auf zwei Arten speichern:

  • Zum einen kann er das Fett bzw. die Fettsäuren in den Fettzellen des Unterhautfettgewebes (dem sogenannten subkutanen Fett) speichern. 
  • Zum anderen kann er das Fett in und zwischen den inneren Organen (dem sogenannten viszeralen Fett) speichern. 

Das subkutane Fett direkt unter der Haut – jenes, das von der Gesellschaft bei üppigerer Masse als eher unästhetisch wahrgenommen wird – ist metabolisch neutral bis sogar positiv. Gerade im Alter kann ein gewisses Unterhautfett-Depot bei Krankheit gesund und positiv wirken. Fett wird erst dann «ungesund», wenn es vom Körper in und zwischen den inneren Organen (viszerales Fett) abgespeichert wird. Dort löst es einerseits entzündliche Prozesse aus, andererseits treibt es die Insulinresistenz an, die in vielen Fällen in Diabetes Typ 2 endet (siehe dazu Beitrag «Insulinresistenz und Diabetes Typ 2»). Eine Person mit viel subkutaner Fettmasse ist zwar möglicherweise übergewichtig, kann aber trotzdem metabolisch gesund sein. Gleichzeitig ist eine andere Person mit wenig Unterhautfettgewebe schlank, kann jedoch aufgrund von nicht sichtbarem viszeralem Fett am metabolischen Syndrom leiden. 

Der für die allgemeine Bevölkerung zugängliche Goldstandard zur Messung der viszeralen Fettmasse ist der Dexa Scan. Dieser kann diese anhand einer Körpermessung berechnen. Auch eine Bioimpendanzanalyse (BIA) ist in der Lage die viszerale Fettmasse abzuschätzen. 

Korrelation ja, Kausalität nein
Auch wenn Personen mit einer erhöhten subkutanen Fettmasse metabolisch gesund sein können, steigt mit zunehmender Fettmasse auch bei ihnen das Risiko der Anhäufung von Viszeralfett an. Denn: Der Körper kann nur eine bestimmte Kapazität Unterhautfett speichern. Da diese Kapazität individuell sehr verschieden ist, stellt man sich dies am besten am Beispiel einer Badewanne vor. Die Badewanne stellt das Mass an speicherbarem Unterhautfett dar; da wir alle nicht zwangsläufig gleich grosse Badewannen verfügen, überlauft diese mal früher, mal später. Dieses «überlaufende» Unterhautfett ist es, das vermehrt in und zwischen den inneren Organen gespeichert wird. Die Konsequenzen davon wurden oben erläutert. 

Dies lässt den Schluss zu, dass es eine Korrelation zwischen metabolischer Gesundheit und Körpergewichtgibt, diese Korrelation jedoch nicht kausal ist. Dies hat eine Studie von Klein et al. (2004) aufgezeigt: Auch nach dem Absaugen einer beträchtlichen Menge an subkutanem Fett bei Personen mit metabolischem Syndrom konnten keine Verbesserungen der metabolischen Gesundheit festgestellt werden. 

Die Wichtigkeit des «Stoffwechselflusses»
Wir haben es bereits mehrfach gesagt: Eine aktive übergewichtige Person lebt in der Regel metabolisch gesünder als eine inaktive schlanke Person. Dies insbesondere deshalb, weil die Fettmasse im Körper nicht passiv ist. Ein Phänomen, bei dem von Fett-Flux gesprochen wird. Trotz erhöhter Fettmasse ist der Stoffwechsel bei Aktivität ständig in Bewegung, «im Fluss». Fettmoleküle gelangen in die Fettzellen, verlassen diese aber auch wieder. Die Gefahr für Insulinresistenz der Fettzellen ist dadurch geringer und die negativen Effekte auf den Stoffwechsel bleiben vorwiegend aus. Wichtig dabei zu wissen ist, dass betreffend Stoffwechsel immer das grosse Ganze betrachtet werden muss, denn Konzentrationen oder absolute Mengen alleine sind oft nicht sehr aussagekräftig. Befindet sich nämlich alles im Fluss, dann können im Vergleich zu einem inaktiven Stoffwechsel auch höhere bzw. «ungesündere» Mengen vorhanden sein.

Ansammlung von viszeralem Fett verhindern
Recchia et al. (2023) konnten in einer kürzlich erschienenen Meta-Analyse beobachten, dass physisches Training bei der Reduktion von viszeralem Fett bei übergewichtigen Personen bessere Effekte zur Folge hatte, als eine Reduktion der Energiezufuhr. Zum selben Ergebnis kamen bereits Verheggen et al. (2016) in ihrer Meta-Analyse. Auch die Meta-Analyse von Vissers et al. (2013) kam zum Schluss, dass Ausdauertraining (ohne Reduktion der Nahrungszufuhr) sowohl bei Männern als auch bei Frauen das viszerale Fettdepot erfolgreich reduzieren konnte. 

Betreffend Art des physischen Trainings scheinen insbesondere Ausdauereinheiten mit einer hohen Intensität zum Abbau von viszeralem Fett geeignet zu sein (Irving et al., 2008). Je nach Ausmass der viszeralen Fettmasse führt eine Kombination von Kraft- und Ausdauertraining sowie eine negative Energiebilanz zu den besten Ergebnissen zur Reduktion der viszeralen Fettmasse. 

Literatur 

  • Recchia, F., Leung, C. K., Angus, P. Y., Leung, W., Danny, J. Y., Fong, D. Y., ... & Siu, P. M. (2023). Dose–response effects of exercise and caloric restriction on visceral adiposity in overweight and obese adults: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Sports Medicine, 57(16), 1035-1041.
  • Verheggen, R. J. H. M., Maessen, M. F. H., Green, D. J., Hermus, A. R. M. M., Hopman, M. T. E., & Thijssen, D. H. T. (2016). A systematic review and meta‐analysis on the effects of exercise training versus hypocaloric diet: distinct effects on body weight and visceral adipose tissue. Obesity reviews, 17(8), 664-690.
  • Vissers, D., Hens, W., Taeymans, J., Baeyens, J. P., Poortmans, J., & Van Gaal, L. (2013). The effect of exercise on visceral adipose tissue in overweight adults: a systematic review and meta-analysis. PloS one, 8(2), e56415.
  • Irving, B. A., Davis, C. K., Brock, D. W., Weltman, J. Y., Swift, D., Barrett, E. J., ... & Weltman, A. (2008). Effect of exercise training intensity on abdominal visceral fat and body composition. Medicine and science in sports and exercise, 40(11), 1863.

Kontakt

Silvana Ulber
Leitung Kommunikation