Insulinresistenz und Diabetes Typ 2 – eine Krankheit der Übergewichtigen?

14. Oktober 2024

Von: Marc Streitenbürger, Sportwissenschaftler und Inhaber von Functional Athletics | Ko-Produktion: Silvana Ulber, Leitung Kommunikation

Als Fortsetzung der Blog-Reihe über die metabolische Gesundheit vertiefen wir die einzelnen Aspekte in einer weiteren Reihe. Dabei beleuchten wir die Aspekte aus weiteren Perspektiven und zeigen Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf. Warum wir dies (nochmals) tun? Weil wir überzeugt sind: Gesundheit ist das höchste Gut und jede Auseinandersetzung mit ihr ist wertvoll. Die Blog-Reihe besteht aus Auseinandersetzungen mit:

  1. Insulinresistenz und Diabetes Typ 2
  2. Übergewicht und Körperfett
  3. Kraft- und Muskeltraining
  4. Ausdauerleistungsfähigkeit
  5. Messung und praktische Ableitungen 

Take-Home-Messages
Folgende Take-Home-Messages lassen sich aus dem Beitrag zum Aspekt «Insulinresistenz und Diabetes Typ 2» ziehen:

  • Die Insulinresistenz steht im Zentrum des metabolischen Syndroms.
  • Die Insulinresistenz beginnt mit inaktiven Muskeln.
  • Vom Muskel springt es auf die Leber und andere Organe.
  • Dies führt zu einem konstant hohen Blutzuckerspiegel.
  • So kann sich Insulinresistenz über viele Jahre langsam verschlimmern, bis es zu einem Diabetes Typ 2 kommt.
  • Die Insulinresistenz und Diabetes Typ 2 sind vermeid- und umkehrbar.
  • Der Abbau von viszeralem Fett als Hauptfaktor zur Umkehrung von Insulinresistenz und Diabetes Typ 2.
  • Zusätzlich zu Aktivität und physischem Training ist eine negative Energiebilanz ebenfalls in den meisten Fällen hilfreich.

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Die Insulinresistenz (IR) und der Diabetes Typ 2 (T2D) stellen zentrale Aspekte in der metabolischen Gesundheit dar. Du denkst dir nun möglicherweise, dass Diabetes eine Krankheit der Übergewichtigen ist? Wusstest du, dass eine Insulinresistenz bereits 13 Jahre (!) vor der Diagnose Diabetes Typ 2 beobachtet werden kann (Tabak et al., 2012)? Das ist eine lange Zeit, in der betroffene Personen sich möglicherweise gesund fühlen, es metabolisch gesehen aber nicht sind. Denn: Insulinresistent und gleichzeitig (metabolisch) gesund sein – das ist nicht möglich. 

Wie sich IR und T2D entwickelt
Die erste Phase besteht aus einer langen kompensatorischen Phase. Shulman (2000) konnte in seiner Studie mit normalgewichtigen inaktiven Männern zwischen 20 und 30 Jahren bereits vor einem Viertel Jahrhundert nachweisen, dass die IR insbesondere auf der Ebene der (inaktiven) Muskelzellen entsteht. Davon kann abgeleitet werden, dass Inaktivität und nicht unbedingt Übergewicht die Grundlage für Diabetes Typ 2 ist.

Die zweite Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bauchspeicheldrüse die Insulinresistenz nicht mehr vollumfänglich kompensieren kann. Insulin stellt den Türöffner für die Glukose (Blutzucker) in die Muskelzelle dar. Liegt eine IR vor, kann die Muskelzelle immer weniger gut auf Insulin reagieren, sodass sie die Glukose nicht mehr ausreichend aus dem Blut aufnehmen kann. 

Die ersten beiden Phasen treten ein, bevor der Prä-Diabetes diagnostiziert wird (siehe dazu die Tabelle unten).

Die dritte Phase kommt dem Prä-Diabetes gleich. In diesem Stadium sind die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse nicht mehr in der Lage, die Insulinresistenz zu kompensieren, was zu einem starken Anstieg des Blutzuckerlevels führt (Tabak et al., 2012). Der Prä-Diabetes entwickelt sich langsam, aber stetig zum Diabetes Typ 2; ca. 25 – 70 % der betroffenen Personen wechseln den Status Prä-Diabetes zu Typ 2 Diabetes innert 3-5 Jahren. 

Weshalb Muskelzellen nicht mehr auf Insulin reagieren
Muskelzellen werden dann insulinresistent, wenn sich an ihnen ein gewisses Mass an Fettsäuren ansetzt und diese nicht verbrannt werden. Eine übermässige Energiezufuhr (positive Energiebilanz) begünstigt dies zwar, entscheidend ist aber die Koppelung an Bewegungsarmut bzw. Inaktivität. Der dadurch einsetzende Mechanismus sorgt dafür, dass die betreffende Muskelzelle weniger oder gar nicht mehr auf Insulin reagieren kann. Es kommt zur Insulinresistenz. Sobald dies der Fall ist, wird eine Kaskade in Gang gesetzt, welche auch andere Gewebe insulinresistent werden lässt. Dies kann unter anderem auch die Leber betreffen. 

Was die Leber damit zu tun hat
Unsere Leber ist in der Lage selbst Glukose herzustellen. Das ist wichtig, denn so stellt sie sicher, dass immer genug Glukose im Blut ist – auch dann, wenn wir eine Weile keine Nahrung zuführen. Das Signal für diese Produktion gibt das Insulin. Wird die Leber aufgrund angesetzter Fettsäuren jedoch insulinresistent, fehlt das Signal und sie produziert weiter, gibt weiter Glukose ins Blut ab, obwohl dies nicht notwendig wäre. Die Produktion bzw. die Zufuhr gerät ausser Kontrolle und so kommt es zu einer zusätzlichen Erhöhung des Blutzuckerspiegels.

Die kurze Auseinandersetzung mit der Leber zeigt auf: Die Ansammlung von viszeralem Fett (=der «Verfettung» der Gewebe und Organe) – herbeigeführt durch übermässige Energiezufuhr und/oder Bewegungsarmut und Inaktivität – ist der aktive Treiber von IR und T2D. Mit adäquater Energiezufuhr sowie angemessener Aktivität und physischem Training kann eine IR und auch ein T2D nicht nur verhindert, sondern auch vollständig umgekehrt werden. 

Das Körpergewicht bzw. Körperfett und deren Einfluss auf die metabolische Gesundheit wird im nächsten Blog-Beitrag der Reihe genauer beleuchtet. An dieser Stelle nur so viel: Viszerales Fett (Fett in und um die Organe) spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von T2D; durch dessen Abbau kann die IR und der T2D verbessert und umgekehrt werden. 

 

Literatur

  • Recchia, F., Leung, C. K., Angus, P. Y., Leung, W., Danny, J. Y., Fong, D. Y., ... & Siu, P. M. (2023). Dose–response effects of exercise and caloric restriction on visceral adiposity in overweight and obese adults: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Sports Medicine57(16), 1035-1041.
  • Verheggen, R. J. H. M., Maessen, M. F. H., Green, D. J., Hermus, A. R. M. M., Hopman, M. T. E., & Thijssen, D. H. T. (2016). A systematic review and meta‐analysis on the effects of exercise training versus hypocaloric diet: distinct effects on body weight and visceral adipose tissue. Obesity reviews17(8), 664-690.
  • Vissers, D., Hens, W., Taeymans, J., Baeyens, J. P., Poortmans, J., & Van Gaal, L. (2013). The effect of exercise on visceral adipose tissue in overweight adults: a systematic review and meta-analysis. PloS one8(2), e56415.
  • Irving, B. A., Davis, C. K., Brock, D. W., Weltman, J. Y., Swift, D., Barrett, E. J., ... & Weltman, A. (2008). Effect of exercise training intensity on abdominal visceral fat and body composition. Medicine and science in sports and exercise40(11), 1863.
  • Shulman, G. I. (2000). Cellular mechanisms of insulin resistance. The Journal of clinical investigation106(2), 171-176.
  • Tabák, A. G., Herder, C., Rathmann, W., Brunner, E. J., & Kivimäki, M. (2012). Prediabetes: a high-risk state for diabetes development. The Lancet379(9833), 2279-2290.

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Silvana Ulber
Leitung Kommunikation