Pro & Kontra - Training vor dem Spiegel: Praktisch oder ein Übel?

12. April 2017

PRO

Thomas Borowski, 50 Jahre, ASVZ- und Hobby-Sportler, hat erkannt, dass der Spiegel bei genauer Betrachtung der ehrlichste Trainingscoach und zugleich Vergnügen ist.

Wow, dem Typen zeige ich's in der laufenden Body Combat-Lektion aber so richtig: Er bekommt von mir einen Haken von rechts an die Backe, dann einen Upercut direkt unters Kinn und noch einen Kick auf Hüfthöhe. Sehr praktisch, dass mein Trainingsgegenüber exakt gleich gross wie ich und mit derselben Statur gesegnet ist – wir sind absolut gleichwertige Gegner. Nur: Wieso fühle ich mich mit jeder Minute müder, während mein Gegenüber scheinbar locker mithält? So wie ich ihn beobachte, führt er seine Bewegungen genauso sauber aus wie ich. Okay, der eine oder andere Schlag und Kick könnte perfekter ausgeführt sein... aber im Grossen und Ganzen macht mein Spiegelbild auf mich heute einen guten Eindruck.

Fazit meiner Ich-Betrachtung: Das Spiegelbild zeigt einem in geführten Sportlektionen die ungeschminkte Wahrheit über die eigene Technikausführung. Mit einem Coach und rund 150 Mittrainierenden in der Lektion bleibt der Spiegel in dieser Stunde ehrlich gesagt auch die einzige Instanz, welche die ungeschönte Rückmeldung auf die eigene Trainingsleistung gibt. Ähnlich positiv erlebe ich die Spiegel im Kraftraum. Auch hier bestätigt der kurze Blick in den Spiegel, ob der Rücken auch wirklich gestreckt ist und die Übung korrekt ausgeführt wird.

Und unter uns: Beim Indoor-Sport bereitet mir der Blick in den Spiegel auch immer dann die grösste Motivation, wenn ich unbemerkt in die leidenden Gesichter der Mitsportler schauen kann. Da erscheint mir mein Spiegelbild doch gleich wieder viel positiver als zuvor.

 

KONTRA

Claudio Zemp, 41 Jahre, Profi-Träumer, kurzsichtig und stolperfroh, stellt sich am Schreibtisch gern selber Fallen. In Spiegelsälen aber wird ihm immer schwindlig.

Leider muss ich zugeben, dass ich nur im Notfall genau hinschaue. Mein Spiegelbild? Let’s face it: Schöner wird’s nicht. Lieber jogge ich durch den Wald, um den Vögeln zu lauschen und vielleicht unverhofft einem verschreckten Reh zu begegnen. Mir gefällt die weichgezeichnete Welt, wenn die Gedanken frei schweifen. Nichts gegen Training, jeder muss täglich kämpfen, um sich zu verbessern. Und ja, oft stehe ich mir dabei selbst im Weg. Dann räume ich halt auf. Wer aber auf Äusserlichkeiten fixiert ist, verkennt das Wesentliche.

Beispiel gefällig? Gern: Mein Lieblingsfilm ist ein Doku-Klassiker, «When we were Kings». Es geht darin um den legendären Boxkampf Muhammad Ali vs. George Forman, 1974 in Kinshasa. Interessant ist die Dramaturgie vor dem Kampf. Ali reisst drei Viertel des Films die Klappe auf und macht Faxen, à la «Tanz wie ein Sommervogel, stich wie eine Biene». Im Gegenschnitt sieht man den bärenstarken Foreman stumm Löcher in den Sandsack hauen. Er beachtet die Kamera gar nicht. Autsch, denkt man, der arme Ali, keine Chance. Doch oha, es kommt alles anders. Im Kampf wählt Ali eine neue Taktik. Sieben Runden lang hängt er passiv in den Seilen, lässt den Überboxer Foreman müde werden. Erst dann schlägt Ali zurück - K.O. beim Comeback.

Das Grossmaul Ali wurde unsterblich, nicht weil er blind die Muskeln stählte, sondern weil er die Grösse einer Idee hatte. Gewiss war Foreman real stärker, rein punkto Muskelmasse im Spiegelbild, aber das nützte ihm nichts. Ali erfand sich neu. Manchmal ist Wegducken eben smarter als sich die Hand blutig zu hauen.

 

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