Metabolische Gesundheit Teil I

15. April 2024

Vom metabolischen Syndrom und welche Rolle es für unsere kurz- und langfristige Gesundheit spielt

Von: Marc Streitenbürger, ASVZ-Trainingsleiter sowie Leiter Athletik und Personal Training bei Functional Athletics und Turicum Athletics

 

Sport bzw. Bewegung ist essenziell für alle Aspekte unserer kurz- und langfristigen Gesundheit. Dies zeigen viele gewonnene Erkenntnisse auf. So wird seit einiger Zeit anstatt von der «Lebensspanne» oft von der sogenannten «Gesundheitsspanne» gesprochen. Dies bedeutet, dass wir nicht zwingend länger leben wollen, wenn die Lebensqualität dabei nicht gut ist, sondern wir wollen so lange wie möglich so gesund wie möglich leben. Wir selbst haben darauf grossen Einfluss. Sport und Bewegung sind dabei die zentralen Elemente bzw. unsere potentesten Waffen. Auch wenn andere Aspekte wie Ernährung, Schlaf, soziales Umfeld, Stress usw. für die Gesundheit eine wichtige Rolle spielen, begrenzen wir uns in dieser vierteiligen Blog-Reihe auf den Sport bzw. die aktive Bewegung. 

Take-Home-Messages (Teil I): 

  • Das metabolische Syndrom begünstigt das Auftreten und einen negativen Verlauf von Herz-Kreislauf-, neurodegenerativen sowie Krebs-Erkrankungen.
  • Durch regelmässiges physisches Training mit genügender Intensität, Volumen und Frequenz, kann das metabolische Syndrom vermieden und umgekehrt werden. 
  • Wenn drei der fünf im Text ausgeführten Kriterien erfüllt sind, leidet eine Person am metabolischen Syndrom.


Unser Körper ist auf Bewegung ausgerichtet. Unser Stoffwechsel (Metabolismus) funktioniert nur richtig, wenn unser Körper sich konstant bewegt und physisch gefordert wird. Ist dies nicht der Fall, hat dies negative Konsequenzen für unseren Metabolismus. Ab einem bestimmten Grad wird dies heute als metabolisches Syndrom bezeichnet. Unter diesem Begriff werden verschiedene körperliche Krankheiten zusammengefasst, die sich gegenseitig beeinflussen und unseren Körper schädigen. Die wichtigste Message diesbezüglich: Das metabolische Syndrom hat seine Ursache zum grossen Teil in zu wenig physischer Beanspruchung. Das heisst, eine angemessene physische Beanspruchung kann das metabolische Syndrom komplett verhindern oder sogar umkehren. 

Aktuell werden fünf Kriterien verwendet, um das metabolische Syndrom zu diagnostizieren. Wenn jemand drei der fünf Kriterien aufweist, spricht man von einem metabolischen Syndrom. Diese Kriterien wurden ursprünglich «gewählt», da sie eine hohe Korrelation mit schlechter metabolischer Gesundheit und Krankheiten gezeigt haben. Jedoch ist mittlerweile bekannt, dass diese Kriterien nicht wirklich ursächlich für das metabolische Syndrom sind, sondern eher Symptome des metabolischen Syndroms. Unten werden zu Beginn die Kriterien erläutert, im weiteren Verlauf dieser Blog-Reihe werden diese ausführlicher beschrieben.  

Metabolisches Syndrom: Die fünf Kriterien 
Der Stoffwechsel (Metabolismus) ist ungemein komplex und nichts geschieht isoliert. Daher sind sämtliche Symptome und Ursachen voneinander abhängig und beeinflussen sich zum Teil stark. Oft ist es auch nicht möglich, zweifelsfrei zu eruieren, wo die genaue Ursache eines bestimmten Symptoms liegt. 

  • Taillenumfang: > 80cm bei Frauen, > 94cm bei Männern 
  • Erhöhte Triglyceride (Fettsäuren), nüchtern: > 150mg/dl (1.7mmol/l) 
  • Erniedrigtes HDL-Cholesterin: Frauen < 50mg/dl (1.3mmol/l), Männer < 40mg/dl (1 mmol/l)
  • Erhöhter Blutdruck: > 130 mmHg systolisch, > 85 mmHg diastolisch 
  • Erhöhter Blutzucker (Nüchternblutzucker): > 100mg/dl (5.6 mmol/l) 

Im Folgenden werden die fünf Kriterien etwas genauer ausgeführt:

  • Der Taillenumfang ist ein Indikator für viszerales Fett. Vermehrte Ablagerung von Fett in und zwischen den Organen und Muskeln haben entzündliche und allgemein negative Effekte auf die Gesundheit. Die direkte Messung von viszeralem Fett ist beispielsweise durch einen DEXA Scan sinnvoll. 
  • Erhöhte Triglyceride sind Fettmoleküle (Fettsäuren), die im Blut in Transportmolekülen transportiert werden. Wie der Zucker, benötigen diese Insulin, damit sie in die Fettzellen eingelagert werden können. Wenn die Fettzellen jedoch insulinresistent werden, dann erhöht sich die Triglycerid-Konzentration im Blut. Auch wenn dies nicht direkt problematisch ist, führt es unter anderem dazu, dass die übermässigen Fettsäuren im Bereich der inneren Organe und nicht im dafür vorgesehenen Unterhautfettgewebe abgespeichert werden. 
  • Das HDL-Cholesterin bzw. das High Density Lipoprotein und seine Rolle bei der metabolischen Gesundheit ist sehr kompliziert und die genauen Mechanismen sind noch nicht erfasst. Daher kann ein erniedrigter HDL-Cholesterinwert zwar auf eine schlechtere metabolische Gesundheit hinweisen, wie die Ursachenbeziehung genau aussieht, ist aber noch nicht erforscht. Daher werden wir dieses Kriterium im weiteren Verlauf dieser Blog-Reihe vernachlässigen. 
  • Die Rolle eines erhöhten Blutdrucks im Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom ist unbestritten. Die genauen Entstehungs-Mechanismen sind aber auch hier noch nicht restlos geklärt. Man geht davon aus, dass ein erhöhter Blutdruck seine negative Wirkung vor allem über einen erhöhten mechanischen Stress auf die Blutgefässe entfaltet. Gut bekannt ist, dass ein erhöhter Blutdruck von über 130/85 bereits negative Gesundheitsfolgen hat. Physisches Training kann den Blutdruck nachweislich deutlich senken.  
  • Der Blutzucker (Glukosekonzentration im Blut) wird im zweiten Teil dieser Blog-Reihe etwas ausführlicher behandelt. Ein erhöhter Blutzucker, wie auch erhöhte Triglyceride, stellen eher ein Symptom als eine Ursache dar. Hohe Insulin- und Blutzuckerkonzentrationen sind ein klares Indiz für einen beeinträchtigten Stoffwechsel mit direkten gesundheitlichen Folgen. 

Die drei häufigsten Erkrankungen und ihre Beziehung mit dem metabolischen Syndrom sind:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Neurodegenerative Erkrankungen
  • Krebs-Erkrankungen

Metabolisches Syndrom und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Der Zusammenhang zwischen ungenügender Aktivität und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist schon sehr lange gut belegt. Das Ausmass der starken ursächlichen Beziehung konnten Mottillo et al. (2010) in ihrer Meta-Analyse von 87 Studien und 950'000 Patienten eindrücklich aufzeigen. Wenn eine Person am metabolischen Syndrom leidet, erhöht sich das Risiko…

  • eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln um 135 %
  • an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben um 140 %
  • einen Herzinfarkt zu erleiden um 99 %
  • einen Schlaganfall zu erleiden um 127 %

Schwerpunkt dieser Blog-Reihe ist jedoch nicht die Auseinandersetzung mit dem Risiko bzw. dem, wie sich dieses mit einem metabolischen Syndrom erhöht, sondern wie durch Bewegung und körperliches Training dem metabolischen Syndrom vorgebeugt bzw. es gar umgekehrt werden kann. 

Metabolisches Syndrom und neurodegenerative Erkrankungen
Neuere Erkenntnisse zeigen, dass auch neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer durch das metabolische Syndrom stark begünstigt werden können bzw. durch einen aktiven Lebensstil deren Entwicklung bedeutend gehemmt werden kann.

Nam et al. (2018) kommen in ihrer Meta-Analyse zum Schluss, dass Personen mit dem metabolischen Syndrom ein um 24 % erhöhtes Risiko haben, an Parkinson zu erkranken, wenn drei von fünf Kriterien erfüllt sind. Wenn eine Person alle fünf Kriterien des metabolischen Syndroms erfüllt, sind es 66 %. 

Durch regelmässiges forderndes körperliches Training kann das Risiko, an Parkinson oder Alzheimer zu erkranken sehr stark verringert werden. Sehr eindrücklich dazu sind die Erkenntnisse von Esteban-Cornejo et al. (2022), die zeigen konnten, dass eine Person mit einer Griffkraft von 40 kg ein um 60 % geringeres Risiko besitzt, an Demenz zu erkranken, als eine Person, die nur eine Griffkraft von 10 kg aufweist. Die Griffkraft ist kein direkter ursächlicher Grund in diesem Fall, stellt aber einen guten Indikator für die Kraftfähigkeiten einer Person dar. Wie in Abbildung 1 ersichtlich, ist der Zusammenhang zwischen Griffkraft und dem Auftreten einer Demenzerkrankung ziemlich linear. Je mehr Griffkraft, desto geringer das Risiko (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Lineare Beziehung zwischen Griffkraft und dem Auftreten einer Demenzerkrankung

Metabolisches Syndrom und Krebs-Erkrankungen
Während bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen vielen ein gewisser Zusammenhang zwischen dem metabolischen Syndrom bewusst ist, ist dies bei Krebs weniger der Fall. Doch auch hier ist mittlerweile klar, dass viele Krebsarten eine sehr starke metabolische Komponente aufweisen und somit das Risiko, an Krebs zu erkranken durch das metabolische Syndrom zum Teil deutlich erhöht wird.

Durch die Vorbeugung oder das Umkehren des metabolischen Syndroms kann das Risiko an Krebs zu erkranken erheblich reduziert werden (Jaggers et al., 2009). Dabei können gewisse Krebsarten besonders stark positiv beeinflusst werden. So reduziert sich das Risiko von Krebs der Gebärmutterschleimhaut siebenfach, jenes der Speiseröhre fünffach. Auch das Risiko, an Magen-, Leber- und Nierenkrebs zu erkranken, kann beträchtlich reduziert werden, wenn dem metabolischen Syndrom durch körperliche Aktivität entgegengewirkt wird. Die Gründe dafür werden in Teil 2 dieser Blog-Reihe erläutert.

 

Merke!

Die Inhalte dieser Blog-Reihe sollen als Informationsquelle dienen, und nicht als medizinische Ratgeber missverstanden werden. Das Ziel ist aufzuzeigen, wie stark wir unsere Gesundheit selbst in der Hand haben. Die Blog-Beiträge ersetzen die individuelle Beratung durch eine Fachperson nicht. 

 

Literatur

  • Mottillo, S., Filion, K. B., Genest, J., Joseph, L., Pilote, L., Poirier, P., ... & Eisenberg, M. J. (2010). The metabolic syndrome and cardiovascular risk: a systematic review and meta-analysis. Journal of the American College of Cardiology56 (14), 1113-1132.
  • Jaggers, J. R., Sui, X., Hooker, S. P., LaMonte, M. J., Matthews, C. E., Hand, G. A., & Blair, S. N. (2009). Metabolic syndrome and risk of cancer mortality in men. European Journal of Cancer45 (10), 1831-1838.

  • Nam, G. E., Kim, S. M., Han, K., Kim, N. H., Chung, H. S., Kim, J. W., ... & Choi, K. M. (2018). Metabolic syndrome and risk of Parkinson disease: a nationwide cohort study. PLos medicine15 (8), e1002640.
  • Esteban‐Cornejo, I., Ho, F. K., Petermann‐Rocha, F., Lyall, D. M., Martinez‐Gomez, D., Cabanas‐Sánchez, V., ... & Celis‐Morales, C. (2022). Handgrip strength and all‐cause dementia incidence and mortality: findings from the UK Biobank prospective cohort study. Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle13 (3), 1514-1525.