Sport & alles andere: «Ich bin im normalen Leben angekommen»
Als einstige Spitzensportlerin hat Nicola Spirig den Triathlon über 25 Jahre geprägt. In der ASVZ-Vortragsreihe unter dem Titel «Sport & alles andere» gab die Olympiasiegerin im Talk mit Wortjongleur Christian Graf dem Publikum überraschende Einblicke in ihr neues Leben nach der Sportkarriere – von A wie Antrieb bis Z wie Zwischenverpflegung.
Es ist unmöglich, im Laufe eines Abends die 25 Jahre lange und aussergewöhnliche Sportkarriere von der im Herbst 2022 zurückgetretenen Nicola Spirig zusammenzufassen. Deshalb fordert Moderator Christian Graf die Ausnahmeathletin auf originelle Weise heraus: Sie soll zu alphabetischen Stichworten von A bis Z spontane Antworten liefern. Eine Challenge, die ganz im Sinne der gerne kompetitiven Nicola Spirig ist.
Gleich die ersten Stichworte Athletin, Angst und Athleten-Supporterin beantwortet sie mit interessanten Details aus ihrem Leben nach dem Spitzensport: «Rund ein Jahr nach meinem Rücktritt bin ich heute im normalen Leben angekommen. Nach dem selbst bestimmten Ende meiner Sportkarriere freute ich mich auf mehr Zeit für meine Familie und meine verschiedensten Tätigkeiten. Auch wenn ich den Sport nie satt hatte und es immer als Privileg erachtete, mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben, war der Entscheid richtig. Ich bewege mich auch jetzt noch unglaublich gerne. Am Morgen von sechs bis sieben Uhr ist meine Sport- und Me-Time, dann habe ich beim Joggen oder Schwimmen Zeit für mich zum Nachdenken und um neue Ideen zu entwickeln.» Die Frage nach allfälligen Ängsten beantwortet sie mit ihrer Höhenangst. Versagensängste dagegen hatte sie nur am Anfang ihrer langen Sportlerinnenlaufbahn: «Im Laufe der Zeit lernte ich, dass es dazugehört, dass man auch mal versagt und Misserfolge akzeptiert, wenn man sich hohe Ziele setzt und an Grenzen geht.» Diese Erfahrungen bringt Nicola Spirig heute bei einer ihrer zahlreichen Tätigkeiten mit ein. Als Athletenbetreuerin bei der Sportmarke On nämlich, bei der sie bereits seit 2013 als Markenbotschafterin unter Vertrag steht. «Ich baue für rund 160 Athletinnen und Athleten ein Support-Programm auf. Hierbei geht es nicht um sportliche Aspekte, sondern beispielsweise um die Unterstützung bei Finanzsachen, bei der Handhabung von Social Media und dem persönlichen Branding. Oder wir helfen den Athletinnen und Athleten bei der Etablierung eines medizinischen Netzwerkes. Bei Letzterem habe ich selbst die Erfahrung gemacht, wie wichtig so was sein kann bei einem plötzlichen Trainingsunfall.»
Beim Buchstaben C wie Coach, Champagner, Camper und Carpe Diem kommt als Erstes und nicht zum letzten Mal an diesem Abend Nicola Spirigs langjähriger Coach Brett Sutton zur Sprache. Seine ehemalige Athletin regt mit einigen Anekdoten aus ihrer Zusammenarbeit mit Sutton zum Schmunzeln an und entschuldigt sich irgendwann mit der ihr eigenen Zurückhaltung: «Brett ist eigentlich viel interessanter als ich, deshalb erzähle ich soviel von ihm.» So erfährt man, dass ihr einstiger Coach abergläubisch ist, was die für ihn negativ behaftete Farbe Grün anbelangt. Dass er ihr vor den Olympischen Spielen in Peking silberne Ohrringe schenkte und dann vor London nochmals mit goldigen nachdoppelte, um endlich die Goldmedaille zu gewinnen, ist die andere Sache, welche nicht nur bei der Erzählerin, sondern auch im Publikum für Lacher sorgt. «In all den Jahren, die ich unter Brett trainiert und an Wettkämpfen reüssiert habe, waren zwei für mich wichtige Punkte gegeben: Er hat mir immer detaillierte Erklärungen und Begründungen geliefert, was seine Methoden anbelangt. Und Brett gilt als überaus harter Trainer – der er ab und zu auch ist – aber er verfügt auch über sehr grosse Menschenkenntnisse, was ich an ihm stets geschätzt habe.» Bei der nächsten C-Frage, ob Nicola Spirig lieber Cappuccino oder Champagner mag, lautet ihre Antwort «Champagner, weil ich Kaffee nicht gerne habe». Camper und Carpe Diem als Begriffe entlocken der Ex-Triathletin die Informationen, dass sie die 10-wöchige Camper-Tour in Australien mit ihrer Familie nach dem Rücktritt extrem genossen habe, aber jetzt trotzdem keine Camper kaufen will. Und dass Nicola Spirig unter dem Begriff Carpe Diem durchaus das Baumeln der Seele versteht und es geniessen kann, aber geplant, wie sie sagt: «Ich habe in meiner Zeit als Sportlerin gelernt, dass Erholung wichtig ist. Ich plane aber sehr gerne – entsprechend findet meine Ruhezeit auch heute noch nicht einfach so statt, sondern wird von mir geplant.»
Auch Triathlon-spezifisches Insiderwissen wird im A-Z-Ping Pong von Nicola Spirig gerne preisgegeben. «Nebst den drei Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Rennen sollte man unbedingt das Wechselzonen-Training als vierte Disziplin im Triathlon nicht ausser Acht lassen», rät sie eindringlich. Das Missgeschick, die Radschuhe in einem Wettkampf falsch herum montiert zu haben, sei ihr glücklicherweise nur einmal als junge Nachwuchsathletin untergekommen. «Seither habe ich die Schuhe vor jedem Rennen kontrolliert. In den Wechselzonen darf man nichts dem Zufall überlassen – dort werden Wettkämpfe verloren!» Zum Abschluss des kurzweiligen Talks gibt die einst weltbeste Triathletin zum T wie Triathlon noch preis, welche drei Voraussetzungen in jungen Jahren einer Triathlon-Karriere erfüllt sein sollten, um gut zu starten: «Man sollte ein Elterntaxi haben, das einen zu den Wettkampforten fährt, man sollte über Ausdauer verfügen, sowohl im mentalen als auch im konditionellen Bereich, und man sollte viel Freude und Leidenschaft mitbringen für diese faszinierende Sportart.»
GLOSSAR
Ausgesuchte Antworten von Nicola Spirig auf die A-Z-Fragen von Moderator Christian Graf:
Angst – «In gewissen Situationen habe ich Höhenangst.»
Mutterrolle – «Die Familie ist nicht mein Ein und Alles, aber sie hat erste Priorität.»
Magic Moment – «Als ich nach meinem Olympiasieg in London zuoberst auf dem Podest stand und die Schweizer Nationalhymne für mich spielte.»
Medien – «Auch wenn wir nicht immer auf der gleichen Seite standen, sind Medien ein spannender Bereich, der zum Spitzensport dazugehört.»
Party – «Die lustigsten Partys waren immer diejenigen nach grossen internationalen Wettkämpfen.»
Quallen – «Im Wettkämpfen in offenen Gewässern kann man ihnen nicht gut ausweichen, das fand ich jeweils nicht so lustig.»
Qual – «Die Intensität im Training war manchmal eine Qual, aber immer auch Mittel zum Zweck.»
Selbstvertrauen – «Ich habe es durch meine vielen Erfolge dazugewonnen.»
Sportsucht – «Ich betreibe heute noch unglaublich gerne Sport und glaube, es gibt Schlimmeres.»
Schokolade – «Schweizer Schokolade mag ich sehr gerne. Sie war in meiner aktiven Zeit mein verlässlicher Energiespender. Vor meinem Olympiasieg ass ich zum Frühstück nur eine Banane und eine Tafel Schokolade.»
Vorbild – «Roger Feder beeindruckt mich immer, wie er unglaublich geduldig mit seinen Fans und den Medien umgeht.»
Yoga – «Yoga habe ich nie praktiziert, weil Triathlon mit seinen drei spezifischen Sportarten schon sehr viel Trainingsaufwand bedeutet.»
Text: Thomas Borowski
Bild: Jan Sobotkiewicz