ASVZ-Blog | Magnesium und Krämpfe im Sport
«Hot Topic» der Swiss Sports Nutrition Society (SSNS) - Kompakte Infos zu aktuellen Fragen der Sporternährung
Autor: Dr. Paolo Colombani
Ein Mangel an Magnesium als Ursache von belastungsbedingten Muskelkrämpfen ist wohl eines der am häufigsten genannten Zusammenhänge zwischen Ernährung und Sport. Dies ist erstaunlich, denn bereits auf theoretischer Ebene müsste man ein Fragezeichen hinter diesem vermuteten Zusammenhang setzen.
Das Versprechen
Bei Wadenkrämpfen oder Verspannungen soll man Magnesium supplementieren. Denn die Ursache soll, gemäss diversen Versprechungen von Magnesiumpräparaten, ein Magnesiummangel sein. Dieses Versprechen wird seit langem abgegeben und so erstaunt es eigentlich nicht, dass auch im sportlichen Umfeld viele Leute denken, das Versprechen beruhe auf einer guten Faktenlage. Selbstverständlich wäre es sehr hilfreich, ein dermassen einfaches Mittel zur Vorbeugung oder Behandlung von Krämpfen zu haben. Hält aber das Versprechen, dass Magnesium bei der Vorbeugung und Behandlung von Krämpfen im Sport hilft, einer strengen Überprüfung stand?
Magnesium und Krämpfe: Der Beginn…
Der Zusammenhang zwischen Magnesium und Krämpfen ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich eine bestimmte Meinung halten kann und weiterverbreitet, obwohl sie auf einer sehr wackligen Grundlage fusst. Denn die wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Magnesium Krämpfe im Sport vorbeugt oder heilt, könnte nicht geringer sein als sie zurzeit ist. Es gibt schlichtweg keine Studie von guter Qualität, in der die Wirkung von Magnesium auf belastungsbedingte Krämpfen untersucht wurde. Selbst bei Studien mit mässiger oder schlechter Qualität sucht man sehr lange, bis man etwas findet. Es wird praktisch immer nur auf einen über 30 Jahre alten Fallbeschrieb einer Tennisspielerin hingewiesen.
Eine damals 24jährige Frau spielte täglich mindestens 5 bis 6 und oft bis zu 10 Stunden Tennis (als Angestellte in einem Tennisclub). Zusätzlich schwamm sie und nahm «Sonnenbäder». Sie litt seit 5 Jahren an einer Atmungsstörung (Hyperventilationssyndrom) und hatte nach dem Tennisspielen oft Krämpfe an den Händen/Füssen – aber nicht in den Beinen. Es handelte sich also nicht um einen Fall «klassischer» Krämpfe während sportlicher Belastung.
Übliche medizinische Abklärungen zeigten keine Befunde, ausser einem leicht tiefen Magnesiumgehalt im Blutserum. Nach kurzer Zeit einer Supplementierung mit Magnesium verschwanden die Krämpfe in den Händen/Füssen. Seit diesem (einzigen) Beschrieb wird Magnesium immer wieder zur Behandlung von Krämpfen der (Bein)Muskulatur empfohlen. Obwohl die Tennisspielering gar keine solche Krämpfe hatte… und der Magnesiumgehalt im Blutserum als Indikator für den Magnesiumstatus nicht besonders aussagekräftig ist.
…und der Versuch einer Entkräftung
Die wissenschaftliche Literatur zu Magnesium und Krämpfen ist generell sehr spärlich. Aber gemäss der aktuellen Zusammenfassung aller sauber durchgeführten Studien kommt es bei einer Supplementierung mit Magnesium bei Erwachsenen, die Krämpfe egal welcher Art haben, nicht zu einer nennenswerten Vermeidung der Krämpfe. Bezüglich belastungsbedingter Krämpfe gibt es, wie oben erwähnt, gar keine sauber durchgeführten Studien. Für das pauschale Versprechen, dass Magnesium bei Krämpfen im Sport hilft, gibt es somit keine valide Evidenz. Und auch der Einsatz von Magnesium Supplementen zur Behandlung von Beinkrämpfen in der Schwangerschaft ist alles andere als eindeutig wirksam: Die Datenlage ist unklar und geht von einer leichten Verbesserung der Krämpfe über keinen Zusammenhang bis zu mehr Unwohlsein und Durchfall.
Magnesium ist an mehreren Hunderten von Stoffwechselreaktionen beteiligt, inkl. der Energiebereitstellung. Bei einem Magnesiummangel müsste somit neben dem Auftreten von Muskelkrämpfen fast der gesamte Stoffwechsel flach liegen… Da Muskelkrämpfe im Sport offensichtlich nicht mit einem komplett entgleisten Stoffwechsel einhergehen, ist die Vermutung einer ursächlichen Beziehung zwischen Magnesiummangel und Krämpfen bereits auf theoretischer Ebene schwer haltbar.
Schnell zu viel Magnesium
Während es praktisch unmöglich ist, über naturbelassene, nicht angereicherte Lebensmittel zu viel Magnesium aufzunehmen, kann dies ziemlich einfach über regelmässig eingenommene Supplemente erfolgen. Entsprechend wurden Nebenwirkungen von zu viel Magnesium bislang nur für Supplemente beschrieben.
Die so genannte höchst tolerierbare Zufuhr für Magnesium über Supplemente (und angereicherte Lebensmittel) – also die Zufuhr, die längerfristig nicht überschritten werden darf – beträgt lediglich 250 mg pro Tag. Zu viel Magnesium über Präparate oder angereicherte Lebensmittel erhöht das Risiko von Durchfall. Daneben kann auch die Aufnahme des Eisens oder Zinks gehemmt werden.
Wenig Energie, wenig Magnesium
Aufgrund der Beteiligung an sehr vielen Stoffwechselprozessen lässt sich ein Mangel an Magnesium nur schwerlich anhand bestimmter Symptome erkennen. Ursachen können Erkrankungen der Niere oder des Magen-Darm-Bereichs sein. Oder ganz simpel eine zu tiefe Energiezufuhr, wie sie im Sport durchaus vorkommen kann. Dann hat man aber neben dem Magnesium auch mit praktisch allen anderen Nährstoffen ein Problem…
Magnesium zur Leistungssteigerung?
Manchmal wird Magnesium auch direkt vor einer Leistung eingesetzt. Die vorliegenden Datenlage kann aber auch diesen Einsatz im Sport nicht stützen. Und falls die Leistung nach einer längerfristigen Supplementierung mit Magnesium besser wird, so ist dies eher ein Anzeichen für eine suboptimale Zufuhr vor der Einnahme und nicht einer prinzipiell leistungsfördernden Wirkung des Magnesiums.
Wie kommt es zu Krämpfen?
Muskelkrämpfe treten in verschiedenen Situationen auf. Ein plötzliches, ungewolltes und schmerzhaftes Zusammenziehen eines gesamten oder Teils eines Muskels kann generell Stoffwechselstörungen oder Krankheiten auf der Ebene der Nerven als Ursache haben. Krämpfe können aber auch bei gesunden Menschen ohne solche Störungen auftreten und die Krämpfe im Sport gehören zu dieser Kategorie.
Als Ursache von Krämpfen bei sportlicher Aktivität wird immer wieder starkes Schwitzen und folgende Entwässerung (Dehydratation) mit oder ohne grosse Verluste von Mineralstoffen (Elektrolyten) sowie Veränderung der Mineralstoffgehalte im Blut während der Belastung diskutiert. Diese Hypothese wird aber nicht durch die vorliegenden Evidenz gestützt. Die Ursache von Krämpfen dürfte viel eher in einem Ungleichgewicht der Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln liegen, der genaue Mechanismus von belastungsbedingten Krämpfen ist aber noch nicht vollständig geklärt.
Folgendes wird heute als möglicher Umstand diskutiert, welcher die Gefahr von Muskelkrämpfen im Sport erhöht: höhere (als gewohnte) Belastungsintensität, Anzahl bereits erlittener Krämpfe, Belastung in feuchter und heisser Umgebung, Ermüdung. Zudem scheinen Männer eher anfällig auf Krämpfe zu sein als Frauen. Es ist auch möglich, dass die belastungsbedingten Krämpfe je nach Situation unterschiedliche Ursachen haben.
Was kann man gegen Krämpfe tun?
Aus den möglichen Ursachen für Krämpfe während des Sports ergeben sich die Massnahmen, um solche Krämpfe zu vermeiden. Auch wenn nicht besonders spektakulär, so dürften gutes Training inklusive ideale Vorbereitung auf das Training oder den Wettkampf die relevanten Massnahmen sein. Dazu gehören ausreichende Erholung, insbesondere nach harten Trainings, sowie eine sinnvolle Verpflegung im Training/Wettkampf, inklusive ausreichender Flüssigkeitszufuhr. Sobald man in die Nähe oder gar über sein körperliches Limit geht, steigt die Gefahr der Krämpfe. Die effektivste Methode zur akuten Behandlung von Krämpfen scheint das Stretching zu sein.
Fazit
Magnesium nimmt man idealerweise als gewöhnlichen Bestandteil unserer Lebensmittel auf und nicht als Supplement. So stellt man sicher, dass man kaum jemals zu viel Magnesium erwischt. Bei einer einigermassen abwechslungsreichen Lebensmittelauswahl muss man sich daher, wenn man keine (Stoffwechsel-) Krankheit hat, auch keine Sorgen über einen Mangel an Magnesium machen.
Zum Original-Artikel
Magnesium und Krämpfe im Sport auf ssns.ch
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