Immunfunktion im Sport: Können nutritive Massnahmen helfen?

22. September 2023

«Hot Topic» der Swiss Sports Nutrition Society (SSNS) - Kompakte Infos zu aktuellen Fragen der Sporternährung

Autor: Dr. Paolo Colombani

 

Regelmässiger Sport ist sicherlich von Vorteil für die Gesundheit. Harte Ausdauerbelastungen und generell intensives Training können aber die Immunfunktion für mehrere Stunden unterdrücken. Man spricht dabei vom «Open Window», dem wortwörtlich offenen Fenster, währendem man gegenüber Krankheitserregern anfälliger ist. Am häufigsten entwickeln sich dann Erkrankungen der oberen Atemwege. 

Temporäre Schwächung des Immunsystems nach intensivem Sport: Was sind die Gründe? 
Jede intensive körperliche Belastung «stresst» den Körper und führt zu einer vorübergehenden, aber klinisch bedeutenden Veränderung in der Abwehrfähigkeit gegenüber Krankheitserregern. Deshalb ist man nach einer intensiven Belastung anfälliger für beispielsweise Infekte der oberen Atemwege (z.B. Schnupfen, Rachenentzündungen). Erkrankungen der oberen Atemwegen sind die häufigste Erkrankung im Sport und bei mehrwöchigen, internationalen Wettkämpfen sind zwischen 30 und 60 % der Athleten betroffen. Diese Interpretation der Faktenlage galt lange als gesichert. Mit dem Aufkommen neuer Methoden zur Untersuchung des Immunsystems tritt nun die Frage auf, ob die beobachteten häufigen Erkrankungen der oberen Atemwege direkt auf ein temporär geschwächtes Immunsystem nach harten Trainings zurückzuführen ist oder ob andere Ursachen dafür verantwortlich sind. Eine klare Antwort auf diese Frage liegt aber noch nicht vor.

Atemwegsprobleme können jedenfalls auch ohne einen echten bzw. wirklichen Infekt auftreten, z.B. beim belastungsbedingten Asthma. Die Folgen und Symptome sind aber ähnlich und können sich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken. 

Die Gründe für die Unterdrückung der Abwehrkräfte sind mannigfaltig und nicht allein auf die Belastung zurückzuführen. Zu wenig Schlaf, mentaler Stress, unzureichende Flüssigkeits-/ Energiezufuhr (Gewichtsverlust), extreme Umweltbedingungen (z.B. Kälte) oder längeres Reisen tragen alle zu einer Schwächung der Abwehrkräfte im Sport bei. Dies hat zur oben erwähnten Frage geführt, ob die Belastung per se oder doch die anderen Faktoren der Grund für die temporäre Schwächung des Immunsystems ist. 

Der simple Kontakt zu Menschen ist eine weitere, wesentliche Ursache für eine höhere Ansteckungsgefahr im Sport. Mit einfachen hygienischen Massnahmen kann man diese aber bedeutend senken (siehe unten «Erhalte deine Immunfunktion: 10 Tipps»). 

Auch wenn intensive Belastungen die Abwehrkräfte kurzfristig senken, so ist sportliches Training insgesamt für die Gesundheit von Vorteil. Es ist daher wichtig zu sehen, dass die vorübergehende Schwächung der Abwehrkräfte effektiv nur von kurzer Dauer ist. Regelmässige körperliche Aktivität stärkt das Immunsystem und birgt auch das Potenzial, das Risiko von Infektionskrankheiten wie Covid-19 zu senken. 

Essen oder Supplementierung zur Stützung der Abwehrkräfte im Sport? 
Eine ausgewogene, vielseitige Ernährungsweise ist auch für ein gut funktionierendes Immunsystem von zentraler Bedeutung. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Supplementierung mit einzelnen Nährstoffen für eine gute Abwehrkraft notwendig ist, wie auch das Positionspapier zum Immunsystem, Ernährung und Belastung festhält. Im Gegenteil. Diverse Nährstoffe wurden zwar auf ihre vermeintliche Wirkung zur Stützung der Abwehrkräfte während/unmittelbar nach einer intensiven Belastung untersucht (inkl. Zink, Omega-3 Fettsäuren, Pflanzensterole, Antioxidantien oder Glutamin). Die Ergebnisse sind aber nicht wirklich überwältigend. Hilfreich sind eine ausreichende Kohlenhydratzufuhr während und nach dem Sport sowie Probiotika, eine Vitamin D Supplementierung bei tiefem Vitamin D Status und eventuell eine Vitamin C Supplementierung vor einem Ultraausdauerevent bzw. Zink Lutschtabletten. Auch unterstützt eine hohe Zufuhr an sogenannten Polyphenolen über ihre antioxidativen sowie entzündungshemmenden Eigenschaften das Immunsystem. Polyphenole sind sekundäre Pflanzenstoffe und somit in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten, welche auch die ideale Quelle darstellen. Generell gilt aber, wenn keine marginale oder Unterversorgung an einem Nährstoff vorliegt, dürfte eine Supplementierung auch kaum helfen.

Kohlenhydrate während Sport: Auch für das Immunsystem nützlich? 
Für intensive Belastungen ab rund einer Stunde Dauer werden kohlenhydrathaltige (Sport)Getränke empfohlen, hauptsächlich um die Ermüdung hinauszuzögern und eine etwas bessere Leistung zu erbringen. Dies unterstützt auch das Immunsystem während der Belastung und die Einnahme eines Sportgetränks gehört daher zu den Empfehlungen für gute Abwehrkräfte nach intensivem Sport (siehe auch Hot Topic «Ernährung im Training/Wettkampf»). Die ausreichende Kohlenhydratzufuhr gilt als wirksamste Ernährungsmassnahme zum Schutz vor Immunproblemen nach einer Belastung. 

Vitamin C/Zink bei/gegen Erkältungen? 
Zum Schutz vor Erkältungen wird immer wieder Vitamin C empfohlen. Für die allgemeine Bevölkerung konnte aber kein Nutzen von Vitamin C Supplementen zur Vorbeugung oder Behandlung von Erkältungen beobachtet werden. Sie werden daher nicht empfohlen. Im Ultraausdauerbereich sieht dies etwas anders aus. Bei einer dreiwöchigen Gabe von täglich 250 bis 600 mg Vitamin C vor einem 90 km Lauf gab es in den beiden Wochen nach dem Lauf weniger Erkältungen. Diese dauerten zudem weniger lang. Bei einem Marathon sah man hingegen keinen Zusammenhang zwischen Vitamin C Gabe (1 g/d während zwei Monaten vor dem Lauf) und Häufigkeit von Erkältungen. Die Erkältungen dauerten bei Supplementierung gar länger. Wie es bei anderen sportlichen Belastungen aussieht, ist zurzeit unklar. 

Bei bestehenden Erkältungen können hingegen Zink-Lutschtabletten helfen, ihre Dauer etwas zu senken. Sie müssen aber innert 24 h nach Beginn der Erkältung eingenommen werden und die Evidenz für ihre Wirksamkeit hängt sehr wahrscheinlich von der Zinkmenge ab, die in einer Tagesdosis an Lutschtabletten enthalten ist. Eine nennenswerte Wirkung wurde mehrfach, wenn auch nicht immer, bei mehr als 75 mg Zink pro Tag beobachtet, wobei höhere Mengen als 80 bis 90 mg keinen grössere Wirkung zeigten. Somit kommen aber solche Tabletten für die Schweiz nicht mehr als Nahrungsergänzung infrage, da seit 2020 der neue Schweizer Höchstwert für Zink in Nahrungsergänzungen auf 5.3 mg pro Tagesdosis festgelegt wurde.

Regelmässige oder punktuelle Einnahme von Vitaminen? 
Auch wenn eine kurzfristige Supplementierung mit Vitamin C im Ultrabereich die Gefahr von Erkältungen im Anschluss an die Belastung reduziert, sollten die möglichen, nachteiligen Wirkungen von Vitamin- oder Multivitaminmineralstoff-Supplementen nicht vergessen werden. Zum einen wurde in den letzten Jahren mehrfach beobachtet, dass hochdosierte antioxidative Supplemente wie Vitamin C und E die sonst vorliegenden Trainingseffekte vermindern. Und zum anderen erweisen sich in der allgemeinen Bevölkerung Vitamin- und/oder Mineralstoffsupplemente immer wieder als nutzlos oder werden gar mit einer leicht höheren Gefahr in Verbindung gebracht, an irgendeiner Krankheit verfrüht zu sterben. Eine regelmässige, tägliche Einnahme solcher Supplemente ist daher nicht empfehlenswert. Die tägliche Einnahme von 250 bis 600 mg Vitamin C gut drei Wochen vor einem Ultraausdauerevent ist hingegen eine Überlegung wert. Diesbezüglich erwähnenswert ist noch, dass im Handel erhältlichen Nahrungsergänzung mit hochdosiertem Vitamin C in der Schweiz nur bis zu einer Tagesdosis von 750 mg erlaubt sind. Höher dosierte Nahrungsergänzungen sind verboten. 

Sinnvolles Essen und Trinken zur Stützung der Abwehrkräfte im Sport 
Der wohl wichtigste Aspekt für ein gut funktionierendes Immunsystem im Sport ist genügend Essen. Dies ist auch der Grund, weshalb während Phasen mit angestrebtem Gewichtsverlust eine erhöhte Gefahr von Ansteckungen vorliegt. Wird weniger gegessen, um Gewicht zu verlieren, erhält auch das Immunsystem weniger Energie. Weiter braucht es eine ausreichende Eiweisszufuhr, sie muss aber nicht höher sein als für Sportler/innen generell empfohlen (siehe Hot Topic «Protein im Sport – Wie viel braucht man?»). Und natürlich braucht es auch genügend Vitamine und Mineralstoffe. Bei einer einigermassen abwechslungsreichen Lebensmittelauswahl, wie in der «Lebensmittelpyramide für Sportler/innen» empfohlen, erreicht man aber auch ohne irgendwelche Supplemente problemlos eine ausreichende Zufuhr. Dann nimmt man sogar ausreichend pflanzliche Schutzstoffe auf. 

Erhalte deine Immunfunktion: 10 Tipps 

  • Vermeide Kontakt mit kranken Leuten, Menschenmassen und Händeschütteln.
  • Wasche deine Hände regelmässig oder nutze Händedesinfektionsmittel, insbesondere vor jedem Essen, und impfe dich gegen Grippe im Winter.
  • Fass dir nicht in die Augen oder Nase – dies ist einer der häufigsten Wege, um sich selbst anzustecken.
  • Vermeide generellen Stress.
  • Vermeide Übertraining und allzu lange Trainings.
  • Schlafe ausreichend (mindestens 7 h pro Nacht).
  • Vermeide schnellen Gewichtsverlust und vermeide eine generelle, zu tiefe Energiezufuhr.
  • Plane Erholungs- oder Anpassungswochen jede 2. oder 3. Woche ein.
  • Teile keine Trinkflaschen, Essensgeschirr usw.
  • Sorge dafür, dass die Schleimhäute im Nasenrachenraum nicht austrocknen.

 

Zum Original-Artikel

Immunfunktion im Sport auf ssns.ch

 

Literatur zum Text

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