Sport & Geschlecht: «Geschlecht geht alle an»

28. März 2023

Geschlechtsspezifische Ungleichheit im Sport ist eines der zahlreichen Themen, denen sich die promovierte Sportpädagogin, Politologin und Historikerin Marianne Meier in den vergangenen 20 Jahren ihrer Arbeit intensiv gewidmet hat. In ihrem ASVZ-Referat «Sport & Geschlecht» beleuchtete sie soziokulturelle Aspekte zu Sport und Geschlecht mit eindrücklichen Fallbeispielen aus dem Schweizer Vereins-, Schul- und Spitzensport. Das Publikum erhielt viele Informationen und Denkanstösse.

Diskriminierung, Sexismus und Homophobie sind Realitäten, die uns alle angehen. Sowohl in der täglichen Berichterstattung der Medien als auch im Sportalltag. Und ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Das Geschlecht spielt in unserer modernen Gesellschaft in vielerlei Hinsicht immer noch eine ausschlaggebende Rolle. «Geschlecht geht alle an», lautet denn auch der Appell von Marianne Meier zu Beginn ihres Vortrages. In ihren folgenden Ausführungen gibt sie Einblicke in ihre Arbeiten am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern.

Schon die Definition von Geschlecht – Meier verwendet punktuell die Terminologie Gender – zeigt deutlich, wie komplex die Thematik ist. Ihre Frage «Wie wird Geschlecht überhaupt festgestellt?» führt in der Antwort vom binären System Mann vs. Frau hin zu den bis heute, vor allem im Spitzensport, eingeführten Indikatoren. Unter der Bezeichnung ‚Gender Markers‘ werden da die folgenden sechs Feststellungsmerkmale erläutert: 1. Externe Genitalien, 2. Interne Geschlechtsorgane, 3. Phänotyp (äussere Erscheinung), 4. Genetisches Geschlecht (Chromosomen), 5. Hormonelle Veranlagungen, 6. Geschlechtsidentität. Die ganze Bandbreite an Beurteilungskriterien führt Marianne Meier mit Fallbeispielen aus der Sportwelt eindrücklich vor Augen. Dass etwa rund um die Olympischen Sommerspiele 1964 in Tokio sportärztliche Männergremien androgyn wirkende Athletinnen nach ihren äusseren Geschlechtsmerkmalen beurteilten und zu den Frauen-Wettkämpfen zuliessen oder eben nicht, war nur eines der genannten Beispiele.

Eine der Erkenntnisse des Abends bringt das Referat mit der Feststellung hervor, dass der soziokulturelle Kontext und Gender im Sport viel dazu beitragen, wie etwas wahrgenommen wird. Gerade im Sport sind die Rollenbilder gemäss Marianne Meier in vielen Köpfen fest zementiert: «Maskulinität wird mit stark, muskulös und ehrgeizig umschrieben, während Feminität mit sanft, schwach und passiv gleichgesetzt wird.» Insbesondere das gängige Schönheitsideal von Frauen in der Öffentlichkeit und die vermeintliche Unvereinbarkeit von sportlichem Ehrgeiz und Weiblichkeit führe meist zum «Widerspruch zwischen dem Frau-sein und Sportlerin-sein». Die meisten Sportgeräte oder Sportarten werden heute noch immer, abhängig von der soziokulturellen Sichtweise, als typisch männlich oder typisch weiblich angesehen. Doch weshalb sollte ein gewisser Sport, der ja an und für sich geschlechtsneutral ist, jemandem vorenthalten werden? Nur weil es immer so war? Dies gilt gleichermassen für Jungs, die sich etwa für Synchronschwimmen interessieren, als auch für Mädchen, die Eishockey spielen möchten. Solche einengenden Rollenverständnisse sind in einer freien und demokratischen Gesellschaft eigentlich nicht mehr zu legitimieren. Genau zur Förderung dieser Aspekte hat das Sportamt der Stadt Zürich im Jahr 2020 das mehrjährige Projekt «Atleta» lanciert (www.sportamt.ch/atleta).

Obwohl die Gesellschaft in der Schweiz überaus divers ist, kommt es im Sport in vielerlei Hinsicht und verschiedenen Themenfeldern immer noch zu Spannungen und Übertretungen. Mit aktuellen Fallbeispielen von Sexismus, über den Umgang mit Menstruation im Leistungssport bis hin zu Berichterstattungen über flächendeckendes Mobbing und sexuelle Belästigung im Schweizer Spitzensport, legt Marianne Meier den Finger auf wunde Punkte im Sportwesen. Aber auch positiven Entwicklungen, wie z.B. die Revision der Schweizer Sportförderungsverordnung zum Schutz vor Gewalt im Sport, räumt die Sportpädagogin in ihrem Referat Platz ein. Dass jeder und jede einen Teil zur Verbesserung in Sachen «Sport & Geschlecht» beitragen kann, darauf verweist Marianne Meier mit der Publikation ‚Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Sport‘. Dieses Merkblatt hat die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich in Zusammenarbeit mit Marianne Meier 2023 verfasst (https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/gleichstellung/publikationen/rollenbilder-und-stereotypen/merkblatt_sport_geschlecht.html).

Wichtig sei vor allem auch, dass gerade im Sport die Vorbildfunktion zum Tragen komme, um weiteren kritischen Themen wie zum Beispiel der Homophobie und Transphobie entgegenzuwirken, wie die Referentin sagt: «Vor allem bekannte Spitzenathletinnen und Spitzenathleten, die offen zu ihrer Sexualität und/oder ihrer Geschlechtsidentität stehen, spielen als Vorbilder eine wichtige Rolle.» Im 2020 erschienenen Buch ‚Vorbild und Vorurteil‘ (www.vorbildundvorurteil.ch) stellt Marianne Meier als Co-Autorin 28 lesbische Spitzensportlerinnen aus der Schweiz vor, welche mit ihren Biografien die im Sportbusiness vorherrschenden patriarchalen Strukturen und deren Mechanismen des Machtdreiecks von Sport, Medien und Wirtschaft bildhaft aufzeigen. Mit Auszügen aus dem Buch und dem daraus resultierenden Medienecho, gibt die Referentin zum Abschluss des Abends allen Anwesenden nochmals weitere Denkanstösse mit auf den Heimweg.

Bericht von Thomas Borowski
Bilder von Adrian Villiger