Pro & Kontra: Spezial-Sportnahrung: Graus oder Schmaus?

26. September 2022

Pro

Claudio Zemp isst gerne, hat immer Hunger, könnte selbst im Schlaf essen. Darum ist er für Tech Food, den Massanzug unter den Vollpensionen. Oder kurz: Hotel Mama, all inclusive, à discrétion.

Neulich, als innerhalb nur einer Woche die Queen abdankte, nach 70 Jahren auf dem Thron, und King Roger ankündigte, sein Racket an den Nagel zu hängen, trat auch Nicola Spirig zurück. Die Triathletin hörte im Alter von 40 Jahren mit Spitzensport auf. Die dreifache Mutter geht also als Olympiasiegerin (2012) in Frühpension. All dies bewältigte sie scheinbar locker vom Hocker: Vollzeitmami, Teilzeitprofi. Und nun geht das Leben halt weiter. 

Als sie nach dem Geheimnis ihrer langen Karriere gefragt wurde, notabene ohne körperliche Verschleisserscheinungen, sagte Spirig: Früh ins Bett. Zur Ernährung gefragt bekannte sie, dass sie dem kaum Beachtung geschenkt habe. Als Frischpensionierte möchte sie nun allerdings ihr Kochrepertoire erweitern. Und im Garten den Kindern zeigen, wo das Gemüse herkommt. Sonst habe sie wenig Gesundes gegessen und sowieso alles sofort verbrannt. Kein Käse!

Deshalb bin ich für Sportlernahrung: Weil man sich nicht darum kümmern muss. An einem Wettkampf sind die Verpflegungsposten als Angebote genauso platziert, wie es dem Bedürfnis der Läufer:innen entspricht. Der neueste Stand der Sportwissenschaft und Lebensmitteltechnologie wartet da, pfannenfertig und wohlportioniert. Man kann der Erfahrung der Masse vertrauen und herzhaft zugreifen. Denn wer es vergisst und nichts isst, läuft garantiert in einen Hungerast.

Also für mich das volle Programm, mit Nachschlag, bitte. Die primäre Funktion von Nahrung ist die Energiezufuhr. Auch darum bin ich Tech-Food-Fan. Wie es schmeckt, ist völlig egal. Kirsche oder Zitrone oder Schokolade. Hauptsache Kohlenhydrate. Es ist wichtig, dass man immer isst und trinkt. Später, nach dem Duschen, kann man immer noch auf dem Sofa fläzen und etwas Geschmackvolles essen.

Schliesslich vertrage ich alles, ich leide also unter keinen Unverträglichkeiten, zum Glück. Zucker und Fett wird umgesetzt, das Standardprogramm ist okay für mich. Gegen den grossen Durst gibts ein alkaheilfrohes Bier (mit einem Schuss Zitro). Zur Regeneration der Batterien. Jan Ullrich («Ulle, Ulle, volle Pulle!») soll sich zum Frühstück jeweils ein Jumbo-Glas Nutella hinter die Binde gekippt haben. Auch das ist Spezial-Sportlernahrung. Ich ziehe zum Zmorge selbstgekochte Pasta mit Pesto vor, und abends zwei Spiegeleier. 

Nur eines ist natürlich zu bedenken, bei allem Fundamentalismus und Funktionalismus: «Dosis sola facet venenum», sagte ja schon Paracelus (1493-1541): Alles ist giftig, wenn man zu viel davon kriegt. Also einfach mit Mass geniessen. Auch die Spezialitäten, die den Tiger im Tank wecken. 


Kontra

Thomas Borowski versteht den Spruch «Du bist, was du isst» auch als Leitbild für seine Ernährung – vor, während und nach dem Sport. Getreu dem Motto, setzt er noch auf natürliche Lebensmittel, anstatt auf verarbeitete Spezial-Sportnahrung in undefinierbaren Geschmacksrichtungen.

Hochleistungssport verlangt unter gewissen Umständen nach Spezial-Sportnahrung. Das ist ein Fakt und ist selbstverständlich auch mir klar. Man kann nicht den Ultramarathon bestreiten, während man unterwegs genüsslich im Laufschritt ein Eingeklemmtes mampft und dieses mit einem alkoholfreien Weizenbier hinunterspült. Es gibt sportliche Höchstbelastungen, in denen man dem Körper komprimierte Energie in Form von Riegeln oder Shots zuführen muss, um nicht ins Energieloch zu geraten. Soweit so gut. Aber sind wir alle Hochleistungsportlerinnen und -sportler?

Es scheint beinahe so, wenn ich mich vor oder nach dem ASVZ-Training umsehe. Da fällt mir auf, dass überall noch husch auf Spezial-Sportnahrung gesetzt wird. Hier leert noch einer vor dem Krafttraining den Vanille-Powerdrink aus dem übergrossen Shaker in sich rein, da werden die müden Muskeln nach dem Cardiotraining sofort mit isotonischem Getränk mit Mango-Geschmack versorgt. Carnitin, Magnesium, Omega-3, Protein und High Energy muss mindestens auf der Packung stehen – alles andere kommt nicht in Frage. Auch wenn es «normale» Lebensmittel auch tun würden, setzen viele Hobbysportlerinnen und -sportler auf die teure Sportnahrung und bescheren der Industrie damit Millionenumsätze. Schliesslich wird auf den Verpackungen so viel mehr als nur Sättigung oder Durstlöschen versprochen – ein Kaufargument, das scheinbar zieht.

Was mich dabei am meisten erstaunt: Was den Geschmack anbelangt, da scheint die Messlatte beim Kaufentscheid gezwungenermassen nicht sehr hoch zu liegen. Geschmacksirrungen und -wirrungen in allen Variationen – von Schoko, Banane, Erdbeere, Chia, Honig oder Ginger – werden schulterzuckend gedultet. «Das schmeckt gar nicht so schlimm», höre ich immer wieder, wenn man auf die fantasievollen Kreationen der Sportnahrungsindustrie zu sprechen kommt. Von Schmaus keine Spur – hier gibt es nur den Graus! Während überall die besten Fooderlebnisse in den Himmel gelobt werden und kulinarische Entdeckungen entzücken, bleiben sie bei der Sportnahrung gänzlich aus. Hier wünschte ich mir die gleiche Innovationskraft für Wohlschmeckendes, über die klassische Banane und den gesüssten Tee hinaus. Und bis die Nahrungsmittelindustrie soweit ist, empfehle ich: Ein Blick auf die bewährte Schweizer Lebensmittelpyramide schadet nicht, um sich der Wichtigkeit der einzelnen Produkte wieder mal gewähr zu werden.

 

Interessiert am ASVZ-Blog?

 

Wir schreiben auch in den weiteren Rubriken "Das ist..." und "Wort zum Sport". Der ASVZ-Blog ist erreichbar unter asvz.ch/blog