Das ist ...

17. Mai 2021

Tango

It takes two to tango.
Kann man eine körperliche Sache, bei der es ums Führen und Spüren geht, mit Abstand und Anstand unter den Auflagen des Corona-Regimes praktizieren? Tango-Professor Denis zweifelte daran, als er hörte, wie die Regeln sind: Maskenpflicht, keine Berührung.

Tango ohne Touch?!

Das ist wie Segeln ohne Boot, Wind ohne Luft oder Backen ohne Ofen. 

Aber es ist, wie es ist, also machen wir die Probe.

 Als Denis den Kurs umstellte, merkte er rasch, dass es geht. Die Frauen und Männer kommen jeden Mittwoch auf den Hönggerberg, sie haben Spass am Ausprobieren, den ollen Masken zum Trotz.

Ohrenfällig ist zuerst die Stille in der Oase der Arena 3. Kein Zappeln, kein Hüpfen, kein Fitnessgeruch in diesem Spiegelsaal. Es tönt El Soñador – der Träumer.

Du kannst in deinen Bürokleidern kommen oder im Trainer antanzen. Kleider sind nur Hüllen, Tango ist Haltung - Postura, Schuhe sind nicht nötig.

Wie geht schon wieder der Grundschritt?

«Eins, Zwei, Wie-Ge-schritt, links, rechts, zäme.» Es ist mehr als 30 Jahre her, seit ich als Teenager am Schulsporttag mit Yvonne Tango tanzte, bei den Promenaden Hormonschübe schob. Wenn ich die Augen schliesse, ist seither kein Tag vergangen. Doch hier ist die Realität, nicht meine Fantasie.

Wer führt?
Die falsche Frage. Es ist weder der Mann noch die erfahrene Person. Wichtig ist, dass die Schulter voran geht, und nicht etwa die Beine. So weiss dein Vis-à-vis, wo es lang geht.

«Kannst du multitasken?», fragt Denis ausgerechnet mich, als er die nächste Übung erklärt.
Jodok macht etwas mit den Armen. Charlotte zeigt etwas mit den Beinen. Ich soll beide gleichzeitig spiegeln. Tricky!

«Was können wir besser machen?»,

Denis kümmert sich schelmisch um uns unsicheren Neulinge. Er kann gnadenlos jeden Tänzer nachahmen, ohne Namen zu nennen, mit Stil, selbstverständlich. Denn: «Es geht immer noch besser». Bei der nächsten Übung sind wir zu zweit, schauen uns an, wir führen abwechslungsweise.

«Wohin geht der Blick?»

Auf die Schultern sollst du schauen! Wir begegnen uns auf Augenhöhe, mit Anstand. Was unter der Gürtellinie passiert, die Beinarbeit, das Feinstoffliche, das läuft alles automatisch.

Es läuft “Non succedera piu” von Claudia Mori, seit 50 Jahren mit Adriano Celentano verheiratet.  

Dazu machen wir Speed-Dating, Partnertausch und Führungswechsel, Denis sagt an.

«Wer war am besten?»

Eine Fangfrage danach. Natürlich ist meine Antwort diskret verschlüsselt: Der letzte war es, last but not least. Und warum? Weil er transparent war. Klar und deutlich. Ein echter Leader hat es schlicht im Blut.

«Was zeichnet einen guten Kellner aus?»

Wenn du geführt wirst, sei wie ein erfahrener Garçon in Lissabon: Lass dich nicht aus der Ruhe bringen. Mit südländischem Ernst und Stolz zeigst du der ganzen Welt, dass du nichts lieber tust als zu dienen.

«Wer gibt den Takt an»?

Du, niemand sonst bestimmt den Rhythmus. Du bist Herr deines Lebens, die Musik inspiriert dich. Es geht auch beim Tanzen um Taten, ohne Worte.

Nun tönt ein Walzer, mit Harmonika, fast wie ein Schwyzer Örgeli.

«Einfache Sachen machen», sagt Denis.

Von Schritten hat niemand gesprochen. Es ging um die Musik, den Rhythmus und das Spüren, mit verschiedenen Vis-à-Vis, nie allein. Es kommt übrigens nicht darauf an, ob du mit Männern oder Frauen tanzt. Nur der Fluss zählt.  

«Langsam, langsam.»

Wir müssen langsamer sein, sagt meine neue Partnerin. Klaro: Weniger ist mehr, einfacher ist besser. Zwei Schritte voran, eine Salida, dann eine schnelle Kombi, eine Corrida, Huch, nun führt sie, wie komme ich nur aus dieser Nummer wieder raus?! Ich verliere das Gleichgewicht, aber sie ist wach, wir lachen. Sie hätte mich gehalten, wenn ich gefallen wäre!

Endlich habe ich verstanden, worum es beim Tanzen geht. Wieso es sich lohnt, ernsthaft zu sein. Dass die Erleuchtung mich ausgerechnet in der Tangoklasse auf dem Hönggerberg erreichen sollte, hätte ich mir nie träumen lassen.

Aber es ist wahr: Ich habe geweint, unter der Maske, und einen Freund verabschiedet. All dies in einer guten Stunde Training, ohne dass - ausser dem Meister Denis natürlich - jemand etwas davon gemerkt hätte.

 

Claudio Zemp

 

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