Pro & Kontra: Braucht es im Freizeitsport Auszeichnungen?

18. November 2019

Pro

Claudio Zemp, Jahrgang 1975, hat neulich eine Medaille gewonnen. Er hat sie an die Trophäenwand gehängt, wo sie sicher ist vor Staub, Vergessen und Diebstahl durch freche Kinder.

Je steiler ich auf die 50 zu renne, desto weniger Gelegenheiten lasse ich aus, um zu versuchen, Lorbeeren zu ernten. Wenn man an einem Sportanlass wählen kann, ob man sich mit oder ohne Medaille quälen möchte, dann mache ich ein Kreuz beim Ja. Denn ich mag Metall als Erinnerung an die Leistung. Es muss nicht mal Silber sein. Auch Bronze oder Leder ist voll okay: Mein Gold kann mir niemand nehmen.

Man will schliesslich als Opa einmal den Enkeln erzählen können, dass man auch mal Fussball spielte, früher. Dazu muss man allerdings den Pokal vom Schülerturnier 1987 noch auf dem Büchergestell haben. Sonst fragt ja niemand.

Jedes Souvenir hat mehr als eine Geschichte. Im Herbst bin ich erstmals einen halben Marathon gelaufen. Das war mein Neujahrsvorsatz und die Krönung der Laufsaison. Für den Lauf fuhren wir extra zu viert mit dem Zug nach Kopenhagen. Erstens ist die Strecke dort angenehm flach und zweitens konnten wir uns ein Wellnesswochenende unter Freunden gönnen, zum Warmup, vor dem Lauf.

Natürlich könnte man so einen Egotrip in der Midlifecrisis günstiger haben. Wir hätten auch um den Hallwilersee oder den Greifensee rennen können. Aber hey, gibt‘s dort Pokale? Eben! Ärgerlich in Kopenhagen war nur das T-Shirt. Dieses bekamen alle vor dem Lauf – und es war eine Werbung für Zalando darauf. So billige Ware trage ich nicht, aus modischen und moralischen Gründen kann mir das gestohlen bleiben.

In der Laufmasse mussten wir uns dann sputen, weil der Zug nur wenige Stunden nach dem Start wieder abfuhr. Im Ziel blieb keine Zeit für Feierlichkeiten, sogar duschen konnte man erst auf der Fähre. Der Muskelkater erschwerte das Treppensteigen, die Krämpfe waren nach ein paar Tagen verflogen. Die Medaille aber habe ich noch. Ich trage sie gern beim Abwaschen am Abend. Sie wärmt mein müdes Herz in der dunklen Jahreszeit.
 

Kontra

Thomas Borowski versucht, der vermeidbaren Materialflut Einhalt zu gebieten. Staubfänger-Auszeichnungen und auffällig bedruckte Finisher-Shirts sind ihm deshalb ein Gräuel.

Eines muss man ihnen lassen: Sie sind schlau, die Veranstalter von Massensportveranstaltungen. Sie kennen den Begriff der «positiven Verstärkung». Und sie wissen aus der Verhaltensbiologie und Psychologie genau, welche Wirkungen der Belohnung am Ende der Sportveranstaltung zugeschrieben werden: Das Ziel wird von vielen Teilnehmenden nur deshalb erreicht, weil dort der verlockende Preis in Form des Finisher-Geschenkes auf sie wartet. Baumelt der Plämpel erst einmal um den verschwitzten Hals, klebt das billige Polyester-Shirt endlich auf dem Leib, ist die Anstrengung der Veranstaltung (zu) rasch vergessen. Und viel besser noch: Der angenehme Reiz der Belohnung bringt viele Finisher dazu, sich unbedacht gleich wieder für die nächste Durchführung anzumelden.

Okay, als Kind und Jugendlicher mochte auch ich die Auszeichnungen, die es am Jugitag, an den ersten Turnfesten und später im Wettkampfsport zu gewinnen gab. Ja, damals wollte auch mein junges Ego mit der Medaille als Kantonalmeister befriedigt werden – aber heute? Sich als Erwachsener noch mit Breitensport-Medaillen schmücken? Den Gästen auf dem Sideboard im Wohnzimmer die gewonnenen Trophäen präsentieren? Oder gar im schlabbrigen Unisex-Finisher-Shirt durch die Gegend springen und dabei freiwillig Werbung für die meist kommerzielle Sportveranstaltung machen? Nein, nein, nein – ich denk nicht dran!

Auszeichnungen im Freizeitsport sind von gestern. In Zeiten der andauernden Umweltbeeinträchtigung durch zu viel Materialismus auf unserer Erde sind für mich diejenigen die echten Gewinner, die auf noch mehr Material verzichten. Sei es im Freizeitsport oder auch sonst im Leben.

 

 

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