Oben angekommen?
Oben angekommen?
Das menschliche Streben nach kontinuierlicher Verbesserung, vor allem im Sport, ist ungebrochen. Nicht so aber dessen Realisierung. Wir sind oben angekommen. Oder?
Bleiben wir beim Sport. Clint Carter stellt sich in seinem Artikel «We will not get bigger, we will not get faster» exakt diese Fragen: Sind dem Menschen physische Grenzen gesetzt? Oder können die Grenzen des menschlichen Körpers stetig erweitert werden? Sind wir fähig, fortdauernd schneller zu laufen, höher zu springen und weiter zu werfen? Wie lange können Limits aufgrund neuer Forschungserkenntnisse in der Genetik, der Ernährung, dem Training und der Sportpsychologie nach aussen verlagert werden? Oder werden wir aufhören, Rekorde zu brechen, weil wir eben diese Grenzen in all diesen Bereichen erfahren? Wenn ja, wann wird das sein?
Geoffroy Berthelot, Direktor der Forschungsabteilung an der École Polytechnique, Paris, zeigt in einer Studie, dass Athleten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Schnitt alle vier Jahre Rekorde in diversen Sportarten gebrochen haben und dies, im Vergleich zu heute, mit beträchtlichen Zeitabständen. In den letzten 50 Jahren hingegen, wurden immer seltener neue Rekorde aufgestellt und wenn, dann mit Zeitabständen, die kürzer waren als ein Augenblinzeln.
Was hat bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts zu so vielen markanten Verbesserungen in zahlreichen Sportarten beigetragen? Mit Sicherheit waren das Erkenntnisse in den erwähnten Bereichen Training, Ernährung und Sportpsychologie. Darüber hinaus hat sich die Forschung immer mehr darauf fokussiert, bestimmte Körpertypen den für sie optimalen Sportarten zuzuordnen, um so maximale Leistungen zu erbringen und Erfolge zu verzeichnen. Auch nicht zu vergessen ist der monetäre Motivationsfaktor, der seit den Fünfzigerjahren finanziell erfolgreiche Sportlerkarrieren ermöglicht hat, sodass Sportler beginnen konnten, nicht nur davon leben, sondern einen diesbezüglich sorgenfreien Status zu erlangen.
Doch wissenschaftliche Erkenntnisse und extrinsische Motivatoren haben die Wachstumskurve nicht davon abgehalten abzuflachen: Nicht nur werden Rekorde kaum mehr gebrochen, auch der Lebenserwartung und dem Wachstum des Menschen werden wider aller Hoffnung ihre Limits vergegenwärtigt. Gemäss einer britischen Studie hat sich die Lebenserwartung in den USA während der letzten zwei Jahre verringert und die Amerikaner mussten hinsichtlich der Körpergrösse ihre Spitzenposition den Europäern überlassen: Die Holländer sind im Durchschnitt um gute 12 Zentimeter grösser.
Was tun, wenn der Mensch durch eigene Kraft nicht mehr dort hinkommt, wo er gerne wäre, wo leichtere Gefährte, schnellere Schuhe und atmungsaktive Kleidung keine Verbesserungen mehr bringen? Dann ist oft der Zeitpunkt für die vermeintliche Ultima Ratio gekommen, also für Mittel, die dem Streben nach Weiterkommen Hilfe leisten. Doch die Nebenwirkungen sind beträchtlich, allen voran die Zerstörung der Gesundheit und die Reputation des Sports.
Was spricht dafür, den ganzen Stress auf sich zu nehmen, den konstanten Druck zu stemmen, sportliche Rekorde weiter brechen zu wollen? Die persönliche Verbesserung, der Antrieb, gesetzte Ziele zu erreichen, Ruhm. Alles nachvollziehbar, alles erstrebenswert. Und was spricht dagegen? Zu welchem Preis möchten einige unter uns diese Ziele erreichen? Manche Sportler sind offenbar gewillt, nicht nur an ihre persönlichen Grenzen zu gehen, sondern sie weit zu überschreiten, selbst wenn das Risiko, dabei zu verlieren weit höher ist, als die Chance zu gewinnen.
Warum tut sich die Menschheit das also an? Ganz im Gegensatz zu den Göttern im Olymp ist unsere Spezies sterblich. Wo Verbesserung Lebendigkeit, Energie, Leben auf dem aufsteigenden Ast wiederspiegelt, zeigen Stagnation und Grenzen unsere Vergänglichkeit auf. Und dieser Gedanke kann durchaus beängstigend sein.
Die guten Neuigkeiten sind: Das Ende der Rekorde ist nicht bewiesen. Oder wie es Clint Carter in seinem Artikel treffend schreibt: “From here, in traditional sports at least, world records will go to those with best technology, the strongest genetic advantage, and the grit to dedicate an entire life to crushing their predecessors by a fraction of a blink.”
Rebecca Costabile, Mitarbeiterin ASVZ
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