Verbalsport - Stiller Ort
Endlich mal wieder Ferien! Zeit, die ich dem Nichtstun widmen kann, Zeit die von mir und nicht durch Fremdbestimmung gestaltet werden kann. Zeit, um mich endlich vom Leben zu erholen. Gestärkt von der Vorfreude, packe ich meine sieben Sachen, okay das ist jetzt vielleicht etwas geschummelt, meine neun Sachen zusammen. Von der Trägheit und Müdigkeit, welche mich die letzten Tage nie im Stich gelassen haben, ist nichts mehr zu spüren.
Nach einer kurzweiligen Reise, komme ich am Ziel meiner Ferienträume an: einer abgelegene Hütte in den Bergen. Fernab von allem, was mich an den Alltag erinnern könnte. Bei ihrem Anblick atme ich erleichtert auf. Mein Herz schlägt vor Freude höher - und vielleicht auch etwas wegen der dünnen Luft.
Nachdem sich der Reiz des Neuen im Verlaufe des Tages verabschiedet hat, setze ich mich mit einem Glas Wein vor das Kaminfeuer und blicke auf mein Handy. Keine Anrufe, keine Nachrichten. Bei genauerem Hinschauen entdecke ich das 3G und die nur knapp zwei Antennenstriche. Mein Magen verkrampft sich und mein Herz beginnt zu rasen. Nur dieses Mal nicht vor Freude sondern aus Panik. Meine Verbindung zur Welt hängt an einem Antennenstrich! Klar, ich habe die Einsamkeit gesucht, aber nicht so! Ich möchte sie doch mit meinen Freunden teilen. Meine Freunde sollen anhand von Fotos, Selfies, Videos und Hashtags an meiner Einsamkeit teilhaben können. Ich packe mein Handy und gehe, mit gestrecktem Arm nach Empfang suchend, von Ecke zu Ecke im Haus. Endlich! Ich finde diesen einen, speziellen Ort, an dem sich alle elektromagnetischen Wellen versammeln. Mein Hirn badet im Dopamin, was für ein Glück! Per sofort ist das meine Lieblingsecke. Schade, dass der Kamin am falschen Ort gebaut worden ist.
Die Tage vergehen. Ich lese viel auf Facebook aber auch in meinem Buch, höre dem Vogelgezwitscher draussen zu und twittere regelmässig mein Befinden. Manchmal, wenn es ganz still ist, höre ich sogar meinen eigenen Blutfluss rauschen. Beängstigend! Zum Glück bin ich bei Spotify Premium Kundin und kann auch ohne Internet meine Musik hören. Wie unbezahlbar doch so ein Urlaub fernab von allem ist.
Nach einer Woche bin ich wieder zurück in der Stadt und im Alltag. Als Erstes fällt mir der gute Internetempfang auf. Was für ein Segen! Als Zweites aber auch der Lärmpegel, dieses konstante Hintergrundrauschen. Und dann all diese Menschen: Wo kommen die denn plötzlich alle her? Im Tram muss ich mir Gespräche über die arrogante und gefühlslose Arbeitskollegin anhören, erfahre wie schlecht der Typ vom letzten Samstag im Bett war und weiss jetzt wo es die heisseste Kellnerin in Zürich gibt. Infos, die die Welt nicht braucht, und ohne die ich ziemlich sicher genauso gut leben könnte. Die Menschen teilen nicht nur bereitwillig ihre Daten, auch das Privatleben scheint seit Big Brother immer stetig an Wert verloren zu haben und findet nun mit den Mitteln des Smartphones seinen Tiefpunkt. Selbst auf dem Stillen Örtchen kann ich mir Informationen über die beste Bauch-Beine-Po-Übung anhören. Da gelobe ich mir doch meine stille 3G Berghütte.
Dalia Hamdy, Hochschulsportlehrerin ASVZ
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